Mit Kunst und Kultur wird alles gut

Ein Expertenbeitrag von Max Haarich, Botschafter der Künstler-Republik Užupis in München / RWTH AachenWie stark Deutschland zukünftig die Anwendung von Künstliche Intelligenz (KI) vorantreiben kann, hängt sehr davon ab, ob es uns gelingt, die Zivilgesellschaft auf die Reise mitzunehmen. Der Erfolg von KI „Made in Germany" setzt voraus, dass sich möglichst viele Menschen mit möglichst vielen Sichtweisen einbringen können, und zukünftige Einsatzgebiete mitdenken, mitbestimmen und mitgestalten können. Dies erhöht sowohl die gesellschaftlichen Akzeptanz von KI, als auch die Wahrscheinlichkeit von Sprunginnovationen. Denn der sicherste Weg eine sehr gute Idee zu haben, ist sehr, sehr viele Ideen zu haben. Heute bereits sichtbare Erfolge wie effizientere Energienetze, die Vermeidung von Verkehrsstaus oder eine verbesserte Früherkennung von Krebs lassen erahnen, welche Möglichkeiten KI zukünftig allen Teilen der Gesellschaft bieten könnte.


Die öffentliche Debatte um KI wird jedoch sehr stark durch aktuelle Datenskandale und mögliche zukünftige Dystopien beeinträchtigt, die an dieser Stelle absichtlich nicht wiederholt werden sollen. In der Bevölkerung senkt dies die Technikakzeptanz und verstärkt gleichzeitig die Zukunftsängste, wie eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vorgestellte Studie 2017 belegte. Insgesamt sinkt damit die gesellschaftliche Bereitschaft das Thema KI voranzutreiben.

Eine positivere Darstellung und Wahrnehmung der oft als „Game Changer" bezeichneten Querschnitts-Technologie KI könnte demnach deren breite Anwendung beschleunigen und Deutschlands Position im internationalen Wettbewerb stärken. Denn die Konkurrenz schläft nicht: so hat z. B. die finnische Regierung unter dem Motto "Start by teaching 1 percent" 50.000 BürgerInnen gleichzeitig für die Nutzung von KI in sämtlichen Arbeitsmarktbereichen begeistert und befähigt.

Max Haarich ist ehrenamtlicher Botschafter der Litauischen Künstlerrepublik Užupis und berät freiberuflich Organisationen zu Ethik in der Künstlichen Intelligenz. Er hat Kommunikationswissenschaften an der RWTH Aachen studiert und forschte dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu den Themen Innovationsfähigkeit und Starke Künstliche Intelligenz. Nach mehreren Jahren in einem Aachener Kreativ-Start-up arbeitete er zuletzt als Manager beim Münchener Innovations- und Gründerzentrum UnternehmerTUM. Die Münchener Botschaft von Užupis gründete er 2017, um technologische Innovationen mit Hilfe von Kunst zugänglicher, kreativer und ethischer zu machen. Zu diesem Zweck hält er Vorträge und moderiert Diskussionen und Workshops. Die Münchener Botschaft von Užupis „beschäftigt" den Forschungs-Humanoiden Roboy als Konsul und ist die erste deutsche Unterzeichnerorganisation der „Montreal Declaration on Responsible AI".

Kunst und Kultur

Was könnte Deutschland also tun, um möglichst viele Menschen aus möglichst vielen Teilen der Gesellschaft für KI zu begeistern – zur Stärkung der Wettbewerbsposition und zum Wohle aller? Ein in Deutschland noch vergleichsweise selten genutztes Potenzial bieten Kunst und Kultur. Kunst und Kultur stehen in einer positiven Wechselwirkung mit Technologie und Wissenschaft. Ein gern gewählter Beleg sind mittelalterliche Universalgelehrte wie Da Vinci und Galilei, denen wir sowohl große Kunstwerke wie auch wissenschaftliche und technologische Durchbrüche zu verdanken haben: die künstlerisch-kreative Sichtweise inspiriert zu neuen Technologien, die wiederum neue künstlerische Ausdrucksformen ermöglichen, was wiederum erneut zur Verbesserung der Technologie beiträgt, usw.

Diese Wechselwirkung zwischen Kunst und Kultur auf der einen Seite sowie Wissenschaft und Technologie auf der anderen Seite ist buchstäblich seit Urzeiten der kaum beachtete Innovationstreiber der Gesellschaft: als erste Steinschnitzereien wurden vor mindestens 30.000 Jahren kultische Figuren angefertigt. Das älteste aus Stein geschnitzte Rad entstand erst ca. 5.000 v. Chr. Jedoch diente das Rad noch lange Zeit als Kinderspielzeug, bevor es endlich zum Transport von Lasten genutzt wurde. Der erste Metallguss war auch kein Werkzeug, sondern ein kleiner Frosch, ca. 3.200 Jahre v. Chr. Und auch die ersten Vorstellungen von Künstlicher Intelligenz gehen mindestens auf die frühmittelalterliche Figur des „Golem" im jüdischen Talmud zurück. KI-Programme im heutigen Sinne folgten erst in den 1950er Jahren – und zwar nicht für wissenschaftliche oder industrielle Zwecke, sondern zunächst als moderne Formen der Brettspiele Schach und Dame. 


Äußerst vielversprechend sind daher Initiativen, die Kunst und Kultur systematisch in die Prozesse der Forschung und Technologieentwicklung integrieren, um deren gegenseitige Befruchtung zu beschleunigen. Ein internationales Vorbild ist das „Ars Electronica Center" im österreichischen Linz, wo Künstlerinnen und Industriepartner in Programmen wie dem „Futurelab" gemeinsam und auf Augenhöhe Technologien zum Wohle Aller entwickeln und gleichzeitig die gesellschaftliche Debatte und Partizipation ermöglichen. Mindestens seit 2015 fördert auch die Europäische Kommission die Zusammenarbeit der Kunst-, Wissenschafts- und Technologiewelt besonders intensiv mit dem Förderprogramm „STARTS" (Science+Technology+ARTS) und formuliert die Motivation hinter dem Programm unmissverständlich: Kunst macht Technologie zugänglicher, inspirierter und ethischer. Dies gelte insbesondere für die Künstliche Intelligenz.


Ein Beispiel wie KI durch Kunst und Kultur zugänglicher wird bietet aktuell Estland. Dort ist sich die Regierung einig, dass der Einsatz von KI rechtlich reglementiert werden müsse. Jedoch war man Anfangs unsicher, wie man der Bevölkerung die KI-Thematik so vermitteln kann, dass eine konstruktive Debatte über dieses Thema möglich wäre. Dafür bedient man sich aktuell der in der estländischen Kultur bekannten Figur des „Kratt". Der Kratt ist ein mystisches Wesen, das aus Heu oder alten Haushaltsgegenständen selbstgebaut werden kann, um anschließend alle Tätigkeiten zu übernehmen, die ihm sein Meister aufträgt. So verstehen die Estländer KI. 

Seit zwei Jahren läuft nun die öffentliche Debatte um das „Kratt Law", dessen erster Entwurf im Juni 2019 dem Parlament vorgelegt werden soll.

Film und Literatur

Besonders die Kunstform der Science-Fiction gewinnt im Kontext von KI zunehmend an Bedeutung: Bücher wie E.T.A. Hoffmanns „Sandmann", Mary Shelleys „Frankenstein" und vor allem 60er-Jahre-Filme wie Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey" erleben ein Revival. Sie scheinen technologische Entwicklungen scheinbar prophetisch vorweggenommen zu haben. Nicht nur die erste Darstellung eines Tablet PC verdanken wir Kubricks Film, sondern auch die Idee eines künstlich intelligenten Bordcomputers („HAL9000"), der Alexander Gersts Weltraumgefährten „Cimon" sehr nahekommt. Diese Liste ließe sich sehr lange fortführen und es kommen Zweifel auf, ob die Künstler die Zukunft wirklich „nur" vorausgesehen haben, oder ob sie sie mit ihren weltberühmten Werken nicht sogar zum Teil herbeigeführt haben. Wenn das der Fall wäre, was für fantastische Möglichkeiten eröffnen sich dann aus der Zusammenarbeit von Kunst und Kultur mit Wissenschaft und Technologie?

Schon Albert Einstein formulierte: Was man sich vorstellen kann, kann man auch erschaffen. Kunst und Kultur vergrößern unseren Vorstellungsraum und Science-Fiction schlägt die Brücke zu aktuellen Debatten um Wissenschaft und Technologie. In was für einer Welt würden wir heute leben, wenn wir in den 1960er Jahren andere Science-Fiction geschrieben hätten? In was für einer Welt könnten wir zukünftig leben, wenn wir heute ganz gezielt utopische Science-Fiction schreiben würden, in der KI den guten Willen der Menschheit verstärkt und zum besten Wohle Aller handelt?

Die Integration von Kunst und Kultur in den Prozess der Forschung und der Technologieentwicklung bietet also sehr interessante Möglichkeiten für den KI-Standort Deutschland. Durch positive Zukunftsszenarien ließen sich mehr Menschen zur Auseinandersetzung mit KI motivieren. Dadurch stünden mehr Ressourcen bereit, um kreativer und sozial akzeptierte Anwendungen in der Mitte der Gesellschaft zu entwickeln. Damit könnten wir uns dann tatsächlich immer weiter unseren gemeinsamen Utopien annähern, was wiederum mehr Mitbürgerinnen und -bürger für KI begeistert; eine positive Entwicklung, die sich selbst verstärkt - worauf warten wir?

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2019 – Künstliche Intelligenz.

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