Wettkampf oder Kooperation?

Ein Expertenbeitrag von Dr. Thilo Hagendorff, Eberhard Karls University Tübingen
Die Entwicklung Künstlicher Intelligenz wird begleitet von einer Rhetorik des Wettkampfs zwischen Europa, China und den USA. Problematisch ist, dass aus dieser Rhetorik eine ganze Reihe an Risiken erwachsen. Diese könnten vermieden werden, würde nicht Konkurrenz, sondern Kooperation zum zentralen Moment bei der Erforschung und Entwicklung von Technologien der künstlichen Intelligenz.Auf Konferenzen, in Nachrichtenartikeln, durch Strategiepapiere oder mithilfe von Statistiken wird mit konstanter Regelmäßigkeit bekräftigt, dass Europa oder Deutschland in der Entwicklung künstlicher Intelligenz gegenüber Nationen wie China oder den USA im Rückstand sind.

Dr. Thilo Hagendorff ist Postdoc im Ethics & Philosophy Lab des Cluster of Excellence „Machine Learning: New Perspectives for Science“ der Eberhard Karls University Tübingen.




Unterschiede KI-Forschung Europa, USA, China

Gerade in Deutschland werden in Diskussionen unter Expertinnen und Experten gerne Narrative des „Hinterherhinkens“ oder des „Rückstands“, der „dringend aufgeholt“ werden muss, bemüht. Es werden an einzelnen Nationen orientierte Eigen- und Fremdgruppen konstruiert, die dann im Sinne von Konkurrenz- oder Dominanzverhältnissen „oben“ oder „unten“ verordnet werden. Talentpools, Patente oder Start-ups werden gegeneinander abgewogen sowie bibliometrische Analysen wissenschaftlicher Paper durchgeführt. Dies steht in der Regel unter dem Vorzeichen, die drei Akteure China, USA und Europa miteinander zu vergleichen. Europa wird dabei als derjenige Akteur begriffen, der am globalen Markt der KI-Systeme dadurch Wettbewerbsvorteile erringt, indem er am ehesten datenschutzfreundliche, vertrauenswürdige Technologien entwickelt. Die USA hingegen können für sich verbuchen, die größte Anzahl an Start-Ups zu haben. Und China postuliert in seinem KI-Strategieplan schlicht, im Jahr 2030 der „world leader in AI“ sein zu wollen. Derartige Denkmuster oder Rhetoriken machen im Rahmen des Wettstreits um wirtschaftliche Gewinne und technische Innovationen durchaus Sinn. Sie bringen jedoch auch eine ganze Reihe an Risiken hervor.

Folgen des Vergleichs

Der häufige Vergleich mit den genannten Nationen macht die Angst, einer oder mehreren derselben unterlegen zu sein, zu einem zentralen Motiv bei der Intensivierung der Bemühungen in Forschung und Entwicklung künstlicher Intelligenz. Dabei liefert nicht zuletzt der militärische Kontext eine Rechtfertigung für das „Wettrennen“ um die beste Technologie. Wenn das eigene nationalistisch gerahmte „Team“ nicht mit den anderen „Teams“ mithält, wird es, vereinfacht gesagt, in ferner Zukunft möglicherweise schlicht vom „Gegner“ überrannt. Aus diesen Narrativen oder Rhetoriken erwachsen bei genauerem Hinsehen jedoch handfeste Risiken. Erstens können die genannten Narrative, auch wenn sie eigentlich nicht den Tatsachen entsprechen – man denke nur an die zahlreichen internationalen Kollaborationen zwischen Wissenschaftlern verschiedenster Nationen – im Endeffekt dennoch dazu führen, dass sie sich selbst realisieren und Konflikte oder antagonistische Verhältnisse zwischen Forschergruppen oder Unternehmen entstehen. Bestehende Konkurrenz- und Verdrängungsverhältnisse bergen wiederum die Gefahr, dass bei der Entwicklung neuer KI-Technologien Sicherheitsvorkehrungen, ethische Leitlinien oder Gesetze missachtet werden, um nicht in „Rückstand“ zu geraten. So gelangen beispielsweise unfertige Produkte auf den Markt, die Sicherheitslücken besitzen oder eigentlich vermeidbare Unfälle provozieren. Besonders brisant wird diese Problematik dann, wenn es darum geht, möglichst schnell und „vor allen anderen“ eine allgemeine künstliche Intelligenz zu entwickeln, während gleichzeitig konkrete Kenntnisse über Technikfolgen fehlen.

Mögliche Lösungsansätze

Die Alternative zu den vorherrschenden Konkurrenz- und Wettkampfnarrativen besteht darin, die Erforschung und Entwicklung von Technologien der künstlichen Intelligenz mehr im Sinne einer Kooperation oder gemeinsam getragenen Anstrengung zu begreifen. Anstatt eines einzelnen „Anführers“ oder gar „Siegers“, der die Vorteile und Profite der besten KI auf sich vereint, könnten selbige ganz im Sinne von Slogans wie „AI4Good“, „AI4People“ oder „Beneficial AI“ gemeinwohlfördernd verteilt werden. Darüber hinaus würde der Dialog zwischen verschiedenen Forschergruppen, Unternehmen oder Institutionen der Technikregulierung angeregt. Ein Klima der Rücksichtslosigkeit, des Siegens oder Verlierens würde ersetzt durch Bemühungen, Verbündete für fruchtbare Kooperationen zu finden, Algorithmen oder Datensätze zu teilen oder durch die KI-Forschung pro-soziale, an einer Steigerung des Allgemeinwohls orientierte Ziele zu verfolgen.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2019 – Künstliche Intelligenz.

Weitere Informationen

Hier finden mehr Informationen zum Cluster of Excellence „Machine Learning: New Perspectives for Science“ der Eberhard Karls University Tübingen.

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