Betriebschöre im Wandel der Zeit – Auslaufmodell oder Evergreen?

Ein Expertenbeitrag von Daniel Kosmalski, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH)Die Identifikation mit einem Unternehmen kann sich in gemeinschaftlichen Kontexten besonders gut entfalten. Die zunehmende Digitalisierung in der Arbeitswelt jedoch führt in einigen Bereichen zur Reduktion von Räumen für persönliche Begegnungen. Viele Unternehmen unterstützen daher die sportlichen, musischen und kulturellen Ambitionen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wenn diese in betrieblich gebundenen Gruppen ausgeübt werden. Auch Betriebschöre können hierbei einen positiven Beitrag für das Wohlbefinden des Einzelnen und das Betriebsklima leisten.

Daniel Kosmalski ist Dozent an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH). Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Musikproduktion, Schulpraktisches Arrangieren, Digitale Medien und sowie in interdisziplinären Projekten. Darüber hinaus arbeitet er seit vielen Jahren als Chorleiter, Komponist und Arrangeur für Jazz-, Pop- und Gospelchöre und als Projekt-Chorleiter für Unternehmen, Chorverbände, Kirchen und andere Institutionen.

Die Wurzeln vieler traditioneller Betriebschöre liegen in der Männerchorbewegung des 19. Jahrhunderts. Bei der Gründung von Werkschören durch die Arbeitgeber spielte das Motiv der Sozialisierung und Erziehung der Arbeitenden eine wichtige Rolle. Bergleute brachten ihre betriebliche Solidarität zum Ausdruck, wenn sie mit ihrem Bergmannschor am Grab eines verunglückten Kumpels sangen. Handwerkschöre boten neben kultureller Teilhabe auch die Möglichkeit des kollegialen Erfahrungsaustausches unter Handwerksmeistern und galten als „Kit der Innung“. Viele dieser traditionellen Männerchöre, die in beruflichen Kontexten entstanden sind, leiden seit Jahrzehnten unter Nachwuchsproblemen oder wurden bereits aufgelöst.

Der Chorgesang unter Arbeits- und Berufskolleginnen und -kollegen findet jedoch auch heute noch begeisterte Anhängerinnen und Anhänger, vor allem dann, wenn die sich wandelnden Arbeitsbedingungen und die persönlichen Interessen von Arbeitnehmenden berücksichtigt werden. Individuelle musikalische und organisatorische Konzepte sind der Schlüssel.

Die Wahl des Klangkörpers ist bereits ein entscheidendes Kriterium. Gemischte Chöre begrenzen den potentiellen Teilnehmerkreis nicht nur auf ein Geschlecht und haben weniger Nachwuchsprobleme als reine Männer- oder Frauenchöre. Eine stilistische Andeutung im Namen des Chores kann das Interesse potentieller Chorsänger steigern, z. B. „Popchor ...“, „Jazzchor ...“. Um auch die jüngere Generation begeistern zu können, sollte bei der Auswahl des Repertoires ihr Musikgeschmack mit berücksichtigt werden. Mit individuell arrangierten Chorsätzen können Stärken eines Betriebschores hervorgehoben und Schwächen kaschiert werden. Die Ästhetik mancher Musikstile oder Werke bedingt besondere Begleitinstrumente. Manche Betriebschöre lassen sich daher von betriebsinternen oder externen professionellen Bands, Ensembles oder Orchestern begleiten. Der Gebrauch digitaler Medien und sozialer Netzwerke erleichtert die moderne Chorarbeit: Austausch von Noten, Texten und Musikdateien, Terminabsprachen, Mitglieder-Aquise, Werbung für Konzerte. Mit Smartphones lassen sich während der Proben Übungstracks für die eigene Chorstimme aufnehmen. Anstelle von wöchentlich stattfinden Chorproben ist manchmal auch die Form des Projektchores eine gute Alternative für viel beschäftigte Arbeitnehmende. Nicht zuletzt hängt die Rubrik „Auslaufmodell“ oder „Evergreen“ für Betriebschöre zu einem großen Teil auch von der musikalischen Expertise, der Motivationskompetenz und der Empathie der Chorleitung ab.

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Während Betriebschöre in Deutschland meistens aus Eigeninitiative von Kolleginnen und Kollegen entstehen, sind in Frankreich in den letzten Jahren einige Unternehmen dazu übergegangen, gezielt Betriebschöre für ihre Mitarbeitenden zu gründen, damit sie die Möglichkeit bekommen, „gegen den Stress anzusingen“. In England haben sich innerhalb von nur wenigen Jahren über 50 „Military Wives Choirs“ für die Frauen von Militärangehörigen etabliert.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2018 – Arbeitswelten der Zukunft.