Sind Landbewohner wiederstandsfähiger gegen Stress?

Auf dem Schreibtisch der Personalabteilung liegen zwei Bewerbungen. Die eine Kandidatin ist auf dem Bauernhof aufgewachsen, der andere Stellenanwärter in der Großstadt. Allein diese Tatsache wirkt sich auf die Stressbewältigung aus.

Das haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Ulm herausgefunden. Menschen vom Land mit einem engen Kontakt zu Nutztieren können Stresssituationen immunologisch offenbar besser bewältigen als Leute aus der Großstadt, die ohne Kontakt zu Kuh und Co groß geworden sind.

Psychosozialer Stress resultiert oft aus dem Arbeitsalltag. Jeder Mensch reagiert anders auf Anspannung. Aber von welchen physischen Faktoren hängt das ab? Dieser Frage ist ein Forschungsteam aus Ulm, Erlangen, London und Boulder (Colorado) nachgegangen. Für die Studie wurden insgesamt 40 gesunde männliche Probanden aus Stadt und Land einem Stresstest unterzogen. Dazu galt es, Stresshormone und immunologische Parameter zu erheben. Gestresst wurden die ausgewählten Probanden in einem standardisierten Laborexperiment mit dem sogenannten „Trier-Social-Stress-Test“ (TSST). Dabei handelt es sich um ein fingiertes Vorstellungsgespräch. Die Bewerber müssen zwischendurch Kopfrechenaufgaben lösen und bei Fehlern von vorne beginnen. Vor und nach dem Test entnahm das Wissenschaftsteam Blut- und Speichelproben. Ziel war es, Immunzellen wie mononukleäre Zellen des peripheren Blutes (PBMC) zu gewinnen oder Stressparameter wie Cortisol zu erfassen.

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Die Studie, die kürzlich im Fachmagazin PNAS veröffentlicht wurde, fand heraus: Die Männer, die die ersten 15 Lebensjahre auf einem Bauernhof mit Nutztierhaltung aufgewachsen waren, ließen sich zwar eher stressen. Aber ihr Immunsystem reagierte nicht so stark wie das der Großstädter, die in ihrer Kindheit keinen Kontakt zu Nutztieren hatten. Das Wissenschaftlerteam erklärt dieses Phänomen damit, dass Menschen auf dem Land regelmäßig mit Umweltbakterien in Kontakt kommen. Landbewohnerinnen und Landbewohner leben mit diesen seit Jahrtausenden eng zusammen. In der Großstadt können die Mikroben heute aber nur schwer überleben. Wer als Kind mit diesen alten Umweltbakterien in Kontakt kommt, dessen Immunabwehr wird frühzeitig angeregt. So beugt der Körper späteren Fehlreaktionen des Immunsystems vor.

Schon länger ist bekannt, dass die Anfälligkeit für Asthma und Allergien sowie für psychische Erkrankungen bei Großstädtern überdurchschnittlich hoch ist. Mit dem globalen Trend zur Verstädterung gewinnt dieser Befund zusätzlich an Brisanz. Widerstandsfähigkeit, sprich Resilienz, ist damit auch ein Thema der Arbeitswelt und Schutzfaktoren wie der kindliche Kontakt mit Nutztieren gewinnen an Bedeutung.

09.05.2018