Der Drang zur Arbeit und das Erbe der Aufklärung

Ein Expertenbeitrag von Prof. Dr. Michael S. Aßländer, Technische Universität Dresden

Nichts scheint das Leben des modernen Menschen mehr zu bestimmen als seine berufliche Arbeit. Sie entscheidet nicht nur über materielle Chancen des modernen Menschen, sondern auch über seine Selbstwahrnehmung und seine soziale Zugehörigkeit. Umgekehrt gilt Arbeitslosigkeit als persönliches Versagen, als ein Makel, den es zu verbergen gilt, und als ein Zustand, der überwunden werden muss, um dem eigenen sozialen Abstieg entgegenzuwirken. Dabei ist es weit weniger der Wunsch nach materieller Sicherheit, Wohlstand oder Unabhängigkeit, der den modernen Menschen zur rastlosen Berufsarbeit zwingt – vielmehr sind es die Normen und Zwänge einer Arbeitsgesellschaft, die die Arbeit scheinbar zur sozialen Notwendigkeit werden lassen.

Michael S. Aßländer studierte Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Philosophie, Psychologie, Soziologie und Russische Sprache an den Universitäten Bamberg, Wien, Bochum und Moskau. Seit 2010 arbeitet er als außerordentlicher Professor für Sozialwissenschaften, insbesondere Wirtschafts- und Unternehmensethik, am Internationalen Hochschulinstitut Zittau der Technischen Universität Dresden.

Ihren Ausgangspunkt nimmt diese Entwicklung hin zu einer Arbeitsgesellschaft mit der Auf-klärung zum Ende des 17. und des 18. Jahrhunderts und der allmählichen Auflösung der Ständegesellschaft. War es das Anliegen der mittelalterlichen Gelehrten, die Mühsal der Arbeit theologisch als Folge des Sündenfalls zu rechtfertigen, wird Arbeit nun als Grundlage einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung begriffen und zu einem Schlüsselbegriff innerhalb der gesellschaftstheoretischen wie auch der ökonomischen Analysen – mit weitreichenden Folgen.

Mit der Abkehr vom theologischen Verständnis des Mittelalters, in dem Privateigentum als Teil der von Gott gewollten Ordnung begriffen wurde, stellt sich die Frage nach den Grundlagen legitimen Eigentumserwerbs auf neue Weise. Für die Philosophen der Aufklärung wird menschliche Arbeit nun zum alleinigen Rechtsgrund legitimen Eigentumserwerbs. Das, was der Mensch mit seiner Arbeit verbindet, entreißt er dem Zustand der Natur und macht es so zu seinem Eigentum. Arbeit begründet nun ein „natürliches Recht“ auf Inbesitznahme und damit auch das Recht, jeden anderen vom Gebrauche einer rechtmäßig durch Arbeit erworbenen Sache auszuschließen.

Fortan ist jede Form nicht durch eigene Arbeit erworbenen Eigentums verpönt. Jedermann schuldet der Gemeinschaft seinen gerechten Arbeitsbeitrag und hat kein Recht, auf Kosten anderer zu leben. Galt der Arme in der Antike als untugendhaft, weil er arm war, ist in der Neuzeit der Untugendhafte arm, weil es ihm an Fleiß und Sparsamkeit mangelt. Jeder ist verpflichtet, durch Arbeit für seinen eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Damit verkehrt sich auch die Sichtweise auf Armut. Armut gilt nun als selbstverschuldetes Unglück, das letztlich durch Arbeitsunwilligkeit und Faulheit verursacht wird.

In ihrem Bemühen, die Einrichtungen einer Gesellschaft zum Wohle des Menschen zu verbessern, wenden sich die Philosophen der Aufklärung auch der Frage nach dem „Reichtum der Nationen“ zu. Produktive Arbeit und arbeitsteilige Produktion werden nach Adam Smith als wichtigste Quelle der nationalen Wohlfahrt begriffen. Arbeit und Boden, so das Credo William Pettys, sind Vater und Mutter des Reichtums. Bereits früh setzte sich dabei die Sichtweise durch, dass es alleine die im Rahmen der Produktion eingesetzte menschliche Arbeit sei, die den Wert einer Ware bestimme. Um Waren so preiswert wie möglich erzeugen zu können, muss Arbeit so effizient wie möglich eingesetzt werden. Arbeit wird dabei jedoch nicht nur als Motor allein der wirtschaftlichen Entwicklung betrachtet, sondern auch des zivilisatorischen Fortschritts insgesamt. Durch seine Arbeit wird der Mensch zum Schöpfer seiner eigenen Zivilisation. So gesehen ist Arbeit nicht mehr nur ein Mittel zur Bekämpfung der Armut, sondern eine zentrale ökonomische Kraft, die Glück und Reichtum befördert und der Gesellschaft die Möglichkeit gibt, über sich hinauszuwachsen.

Ziel der Aufklärung ist es, den Menschen zu einem vernünftigen und nützlichen Wesen zu erziehen. Dabei gilt es, den Einzelnen nicht nur zur Selbständigkeit im Denken, sondern auch zu eigenmotivierter Arbeit anzuleiten. So muss der Mensch, egal welchen Standes, von Kindesbeinen an zur Arbeit und zu Fleiß erzogen werden. Aufgabe des Staates wird es dabei, wie Fichte es ausdrückt, dem Amtlosen Anstellung und dem Arbeitslosen Arbeit zu verschaffen.

Damit beginnt sich eine bürgerliche Sicht auf Arbeit durchzusetzen, die in der erfolgreichen Berufsarbeit die Quelle des individuellen wie auch des nationalen Wohlstandes sieht. Mit Beginn der Neuzeit wird die „Karriere“ im Beruf zum Ausweis erfolgreicher, individueller Lebensführung und damit zum Ideal in einer Leistungsgesellschaft, in der sich der soziale Stand nicht mehr durch Abkunft oder Herkommen, sondern durch individuelle Leistung bestimmt. „Industrie“, verstanden als Erwerbsfleiß, wird zum Erziehungsideal in einer Gesellschaft, die sich zunehmend durch ihre Wirtschaftsleistung definiert. Als Konsequenz der frühneuzeitlichen Verkettung von Armut und Arbeitslosigkeit wird das „Recht auf Arbeit“ zur Forderung der Arbeiterschaft, die nicht nur auf die Sicherung der eigenen Existenzgrundlage zielt, sondern auch ein Recht auf gesellschaftliche Mitsprache beinhaltet. Denn fortan ist nur, wer arbeitet, ein nützliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2018 – Arbeitswelten der Zukunft.