Warum agile Entwicklung oft nicht nutzerzentriert ist – und wie es doch gelingen kann

Ein Expertenbeitrag von Dr.-Ing. Dipl.-Psych. Michael Minge, TU Berlin Agilität spielt in der Entwicklung von Technik eine große Rolle. Bei Technik entwickelnden Unternehmen können sich verändernde Kundenbedürfnisse durch Transparenz und Flexibilität zeitnah berücksichtigt werden. Modular aufgebaute Strukturen und offene Schnittstellen schaffen Synergien, sodass neue Produkte schneller auf den Markt kommen. Personelle und zeitliche Ressourcen werden in regelmäßigen Meetings aufeinander abgestimmt und synchronisiert. Außerdem setzt Agiltität auf eine eigenverantwortliche und selbstbestimmte Arbeitsweise aller Mitarbeitenden.
Ob Technik erfolgreich ist, hängt davon ab, ob es gelingt, einen leichten Zugang zu schaffen, also an gewohnte Begriffe und Abläufe anzuknüpfen und Endnutzende nicht vor neue Probleme zu stellen. Daher ist ihre frühe und regelmäßige Mitwirkung in der Entwicklung entscheidend. Für agile Prozesse sind Methoden wie Befragung, Beobachtung und Usability-Test allerdings oft Sand im Getriebe: Es entsteht schnell das Gefühl, dass die Berücksichtigung von Endnutzenden viel Zeit kostet, wo doch schon längst Funktionalitäten implementiert werden könnten. Ist eine Funktion dann realisiert und läuft sie technisch einwandfrei, will niemand gerne hören, dass sie nur über Umwege bedient werden kann und noch Optimierungsbedarf besteht.

Dr.-Ing. Dipl.-Psych. Michael Minge ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Berlin. Im Rahmen des bundesweit agierenden Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Usability leistet er Wissenstransfer und Unterstützung bei Maßnahmen zur Einführung und Umsetzung von Verbesserungen in Usability und User Experience sowie agiler Entwicklungsmethoden.

Zum Einsatz nutzerzentrierter Methoden machen aktuelle agile Ansätze keinerlei Vorgaben. Es wird zwar immer von der Kundensicht gesprochen, allerdings sind Kundinnen und Kunden nur in den wenigsten Fällen auch die Endnutzenden eines Systems. Entwickelnde Unternehmen stehen hier vor der Herausforderung, beide Welten zusammenzubringen. Eine Lösung verspricht der so genannte One Sprint Ahead. Hier wird vor der Implementierung mit möglichst geringem Aufwand ein Prototyp des zu entwickelnden Systems erstellt, der die Interaktion für Endnutzende erlebbar macht und vorgetestet werden kann. Im einfachsten Fall handelt es sich um Papierskizzen von Bedienoberflächen, die kommentiert und schnell korrigiert werden können, um sie dann zur Implementierung freizugeben.

Oft ist hier allerdings zu beobachten, dass beteiligte Abteilungen sehr isoliert arbeiten und nach einer Übergabe kein weiterer Austausch mehr stattfindet. Falls doch, gerät der agile Rhythmus schnell aus dem Takt – oder die Optimierung für einfache Bedienbarkeit und positives Erleben zieht gleich ganz den Kürzeren.

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Damit beide Welten zusammenpassen, müssen nutzerzentrierte Aktivitäten eng in die agile Entwicklung integriert werden. Hier sind drei Punkte wichtig: 


1.    UX-Designerinnen und Designer – die eine einfache und positive Interaktion mit Technik gestalten – müssen von Beginn an fester Bestandteil in einem interdisziplinären Entwicklungsteam werden.
2.    Auch die regelmäßige Planung von Entwicklungsschleifen muss interdisziplinär mit allen Beteiligten stattfinden und stets um die prototypische Ausgestaltung und Vortestung neuer Funktionalitäten erweitert werden.
3.    Nutzerzentrierte Aktivitäten müssen zu einem festen Bestandteil einer jeden Entwicklungsschleife werden. Nur dadurch gehen sie auch in die Aufwandsschätzung ein und werden Teil des Lernprozesses agil arbeitender Teams.


Erst dies bietet die Voraussetzung für eine konstante Geschwindigkeit und das Schaffen verlässlicher Strukturen, um interaktive Systeme vorausschauend und nachhaltig zu entwickeln.


Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2018 - Arbeitswelten der Zukunft.