Warum Arbeit immer weniger in Büros stattfinden wird - Meine Erfahrungen als CEO einer nomadischen Firma

Ein Expertenbeitrag von Fabian Dittrich, Helpando.it Ein Land Rover Defender, der in der südperuanischen Wüste im Sand feststeckt. Ein Vietnamese, ein Rumäne, ein Deutscher, Anfang dreißig, die mit Spaten und einer mechanischen Seilwinde hektisch versuchen, das festgefahrene Fahrzeug aus dem Sand zu befreien. Die Uhr tickt, in genau zwei Stunden müssen die drei Startup-Gründer an einer Telefonkonferenz teilnehmen, ein sogenannter "Go-Live Call". Der Kunde, ein Online-Casino in Las Vegas, wird während der Konferenz eine in die Jahre gekommene Software durch eine neue ersetzen – entwickelt von Dominic, Vin und mir, dem Team von Helpando.it. Entwickelt haben wir die App an Tankstellen entlang der Panamerikana und in Hostels in Santiago, Lima und Buenos Aires.

Zwei Stunden später sitzen wir in einem verstaubten Internet-Café in der Wüste, irgendwo in der Nähe der Nazca-Linien, neben uns sitzen 10-jährige Kinder auf roten Plastikstühlen vor flimmernden Bildschirmen, hören Reggaeton und spielen Counterstrike. Und jedes Mal, wenn der Kunde spricht, drücken wir panisch den Lautlos-Knopf unserer Headsets, um die Damen und Herren in Las Vegas, die dort in Anzug und Krawatte am anderen Ende der Leitung sitzen, nicht all zu sehr zu verschrecken.

Fabian Dittrich ist Gründer von Helpando.it, einem Software-Unternehmen, für das er mit seinem Team ortsunabhängig arbeitet. Als Speaker spricht er von seinen Erfahrungen als digitaler Nomade auf Konferenzen, in TEDx Talks oder auf Workshops.

Was sich bizarr anhört, war für uns für zwischen 2014 und 2015 Realität. Während wir mit dem Land Rover einmal durch Südamerika gefahren sind und unsere Firma mit auf die Reise genommen haben, zeigten wir, dass Arbeit nicht mehr in einem Büro stattfinden muss. Unseren Kunden verkaufen wir IT-Dienstleistungen und Apps aus der Wüste, vom Amazonasboot oder aus der argentinischen Pampa: Wo auch immer wir gerade sind, wo auch immer es Internet gibt.

Von ca. 150 Kundenanrufen – meist mit lokalen Sim Cards, die wir nach jedem Grenzübergang am nächsten Kiosk kauften – brachen gerade mal zwei ab. Internet gibt es heutzutage überall, das Thema der Verbindung war kein Hindernis. Im Büro in Berlin arbeiteten wir sechs bis acht Stunden pro Tag, neben der Fahrerei und der Arbeit filmten wir in Südamerika obendrein noch einen Videoblog über unsere Abenteuer als nomadische Firma. Plötzlich waren wir gezwungen, ein Acht-Stunden-Arbeitspensum auf nur vier Stunden zu komprimieren. Die Not machte uns erfinderisch. Durch den Zeitdruck und die stark reduzierten Möglichkeiten unserer Umgebung lernten wir so effizient wie möglich zu arbeiten, nutzten jede Wüstenfahrt, um zu überlegen, wie wir durch Shortcuts und Tools noch mehr Zeit sparen konnten. Das Experiment gelang und durch die in Südamerika neu erlernten Effizienzstrategien arbeiteten wir danach in Deutschland nur noch halb so viel.

Wir sind nicht die Einzigen. Automattic, die Firma hinter Wordpress, beschäftigt 550 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 47 Ländern. Es gibt kein einziges Büro. Mitarbeiter können arbeiten, wo auch immer sie möchten. Falls man im Coworking Space arbeiten möchte, zahlt Automattic die monatliche Gebühr, falls man Starbucks bevorzugt, zahlt Automattic den Kaffee. Manche tun sich zusammen und mieten ein kleines Büro, viele arbeiten von zu Hause aus.

Nicht mehr jeden Morgen und Abend im Auto oder in der Bahn sitzen zu müssen, sich die Zeit frei einteilen zu können, die Freiheit überall arbeiten zu können wann immer man möchte - die Vorteile liegen auf der Hand. Und trotzdem wünsche ich mir doch manchmal ich müsste früh raus, duschen und um 9 bei der Arbeit sei, mit meinen Kollegen an der Kaffeemaschine zu plaudern oder zusammen die Mittagspause zu verbringen. Ist eine gewisse Struktur und Routine, geregelte Arbeitszeiten, und der Weg zur und von der Arbeit vielleicht wichtiger als wir uns vorstellen können? Diese Frage muss wohl jeder für sich selbst beantworten.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2018 – Arbeitswelten der Zukunft.