KI-Dialogplattformen für mehr Umweltschutz

Ein Expertinnenbeitrag von Simone Kaiser und Prof. Dr. Martina Schraudner, Fraunhofer CeRRI
Wie können Daten und selbstlernende Algorithmen helfen Klima und Artenvielfalt besser zu schützen? Welche Möglichkeiten gibt es für eine dynamische Messung von städtischer Luftqualität? Und wie können die Orang-Utans auf Borneo von Künstlicher Intelligenz profitieren?

Klima- und Umweltschutz sind zwei der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit. In globalem Maßstab sind Anstrengungen notwendig, um für nachfolgende Generationen die Lebensgrundlagen zu erhalten. Künstliche Intelligenz (KI) kann hier ein wichtiges Werkzeug sein. Sie erschließt nicht nur den digitalen Raum, sondern verknüpft zunehmend unsere physische und biologische Welt. Besondere Potentiale versprechen KI-Technologien bei Vermeidung klimaschädlicher Emissionen, für die Unwetter-Resilienz, hinsichtlich der Bewahrung der Meere und der Sicherung von Luftqualität sowie bei der Gewährleistung der Versorgung mit Trinkwasser und damit für die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (World Economic Forum 2018).

Prof. Dr. Martina Schraudner (links im Bild) leitet das Fraunhofer Center for Responsible Research and Innovation (CeRRI) und das Fachgebiet "Gender und Diversity in der Technik und Produktentwicklung" an der TU Berlin. Seit Januar 2018 ist sie im Vorstand der acatech- Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V. Sie befasst sich mit Methoden, Instrumenten und Prozessen die Diversity, verstanden als unterschiedliche Perspektiven, für Forschung und Entwicklung zugänglich und nutzbar machen.

Simone Kaiser (rechts im Bild) ist stellvertretende Leiterin des Fraunhofer Center for Responsible Research and Innovation (CeRRI). Gemeinsam mit Ihrem Team schlägt sie Brücken zwischen gesellschaftlichen Bedarfen und neuen Technologien. Für Akteure aus Wirtschaft, Forschung und Politik entwickelt sie neue Prozesse und Methoden, um Innovationen ausgehend von gesellschaftlichen Herausforderungen zu entwickeln.

Dies gilt umso mehr, wenn die neuen energieeffizienten KI-Systeme, an denen auch im Rahmen der gegründeten deutschen Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen geforscht wird, realisiert werden. Damit KI mit ihrem großen Energiebedarf nicht als „Brandbeschleuniger“ (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen 2019), sondern als Werkzeug für Nachhaltigkeit und Klimaschutz wirken kann, wird es darauf ankommen, die neuen Möglichkeiten gemeinwohlorientiert, systematisch und zielgerichtet für Nachhaltigkeit und Umweltschutz nutzbar zu machen.

Um diese Potentiale von KI zu erschließen, braucht es die Verknüpfung verschiedener Expertisen und Perspektiven: Während Technologieentwicklerinnen sowie -entwickler genau wissen, welche Arten von Daten wie erfasst, kombiniert und ausgewertet werden können, bringen Umwelt- und Klimaaktivistinnen sowie -aktivisten das notwendige Fachwissen mit, um die Herausforderungen der Umweltfragen sichtbar zu machen.

Dieses Potential wird aktuell selten abgerufen: Häufig arbeiten beide Seiten getrennt, es gibt kaum Berührungspunkte, wie gemeinsame Veranstaltungen oder Netzwerke: KI-Technologie wird von Umweltschützerinnen und -schützern oder von umweltorientierten Sozialunternehmern noch selten eingesetzt. Andererseits fehlt es in Startups, in Unternehmen und bei Technologieentwicklerinnen und -entwicklern aus dem KI-Bereich häufig an dem Bewusstsein, dass KI auf ökologische Anwendungsfelder große Wirkung erzeugen kann. Perspektivenvielfalt und Netzwerke entstehen häufig nicht von selbst. Notwendig sind Dialog-Plattformen und Räume, in denen sich Technologie- und Nachhaltigkeitsexpertinnen sowie –Experten begegnen und in denen ein Verständigungs- und Ideenentwicklungsprozess ermöglicht wird. So können Perspektiven und Expertisen kombiniert werden, Netzwerke aufgebaut und gemeinsame Visionen und Anwendungen entstehen.

Mit dem EarthLab hat das Fraunhofer CeRRI im Auftrag von Microsoft eine solche Innovationsplattform umgesetzt. Es wurden 50 ExpertInnen für KI, Nachhaltigkeit und Umweltschutz ausgewählt. Entstanden sind in nur zwei Tagen knapp 50 Ideenrohlinge, die neun besten wurden in interdisziplinären Teams zu Projektskizzen für neue KI-Nachhaltigkeitsprojekte ausgearbeitet.
Drei der EarthLab-Projektteams haben sich inzwischen erfolgreich um die Förderung ihrer Lösungen im Rahmen des Microsoft AI4Earth-Förderprogramms beworben. Gefördert wird »Shazam4Nature«, ein Sensor zur akustischen Überwachung von Biodiversität in der Landwirtschaft, der »RoadmapMonitor«, einer Lösung zur Satellitenbilder gestützten Identifikation von illegalem Straßenbau in Regenwäldern und der »AirFlow «, eine App für die Überwachung der Luftqualität in Städten.

Die Beispiele zeigen: Neue KI-Technologien und ihre Anwendung unterliegen keinem Automatismus. Wir sind aufgefordert sie für die Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit zu nutzen und sie gemeinwohlorientiert für mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz nutzbar zu machen. Der Aufbau und die Institutionalisierung von neuen interdisziplinären Netzwerken und Dialogplattformen ist dabei ein wichtiger Schritt.
Er sollte begleitet werden, durch eine systematische Öffnung des Technologieentwicklungsprozesses für neue AkteurInnen und Perspektiven wie z. B. von UmweltaktivistInnen oder Sozialunternehmern. Ebenso ist eine Sensibilisierung von Multiplikatoren wie Start-up Inkubatoren für die Potentiale gesellschaftsorientierter Innovationen wichtig. Soziale und technologische Innovationen werden so in ihren Wechselwirkungen füreinander und für wirksamen Klima- und Umweltschutz nutzbar.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2019 – Künstliche Intelligenz.

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