KI in der Anwendung: Prothesen intuitiv steuern

Ein Expertenbeitrag von Dr. Andreas Goppelt, Ottobock SE & Co. KGaA

Ob in Wissenschaft, Politik oder Presse, kaum ein Thema bewegt die Menschen aktuell mehr als Künstliche Intelligenz. Gerade in Medizin und Gesundheitswesen sind die Erwartungen an die Technologie hoch: Kürzere Entwicklungszeiten für neue Wirkstoffe, genauere Diagnosen und personalisierte Therapien. Die Aussichten sind vielversprechend, so beispielsweise auf dem Gebiet der Hautkrebsdiagnose. Im Frühjahr diesen Jahres zeigte eine Studie des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, erschienen in der Fachzeitschrift „European Journal of Cancer“, dass ein programmierter Algorithmus schwarzen Hautkrebs besser diagnostizierte, als 157 Dermatologen aus zwölf deutschen Universitätskliniken.

Dr. Andreas Goppelt leitet als Chief Technology Officer (CTO) seit September 2017 den Bereich Forschung & Entwicklung bei Ottobock. Der promovierte Biochemiker war zuvor als R&D-Leiter für die Geschäftseinheit BioSurgery und Regenerative Medicine bei Baxter Healthcare tätig. Zuvor gründete er ein Start-up, das unter anderem auf Geweberegeneration und Wundheilung spezialisiert war, und leitete dort anschließend den R&D-Bereich als Chief Scientific Officer.

Vor allem Regulatoren und Entscheider sehen aber noch Fallstricke und auch ethische Bedenken. Können Maschinen heute bereits alle kausalen Zusammenhänge so erfassen, dass sie einen ärztlichen Befund ersetzen können? Bisher noch nicht. Machine Learning Algorithmen gleichen für Regulatoren und Entscheider, wie Zulassungsbehörden und Akteure aus nationaler und internationaler Gesundheitspolitik, oft noch einer Black Box. Die Relation zwischen Input und Output ist nicht eindeutig belegbar. Regulatorisch sind aber für die Sicherheit von Diagnostik und Therapie Modelle gefordert, die klar erkennen lassen, welche Vorbedingungen zu welchen Ergebnissen geführt haben.

Das KI, in ihren verschiedenen Formen und Anwendungsbereichen, schon heute einen Mehrwert in der Versorgung bietet, zeigt auch die Prothetik. Hier stellen sich intelligente Hilfsmittel individuell auf den Menschen ein.

Eine Herausforderung in der bionischen Rekonstruktion einer Hand ist die intuitive Steuerung. Wie erkennt eine Handprothese, was sie tun soll? In der Vergangenheit mussten Amputierte lernen, der Prothese klare Befehle zu geben. Zwischen Steuerungsebenen konnten sie nur manuell oder über sogenannte Ko-Kontraktionen, dem gezielten gleichzeitigen Anspannen zweier Muskelgruppen, hin- und herschalten. Seit diesem Frühjahr kehrt eine neue Steuerung mit Mustererkennung das Verhältnis zwischen Amputierten und ihrer Handprothese um. 2019 lernt die Ottobock Prothese von ihrem Anwender und ermöglicht so intuitive Bewegungen.

Möglich machen das acht Elektroden, die Biosignale im Unterarmstumpf erfassen, und selbstlernende Algorithmen, die sie anschließend interpretieren. Greift ein Prothesenträger beispielsweise nach einem Glas, erfassen die Elektroden die Muskelsignale im Armstumpf und ordnen sie automatisch der beabsichtigten Handbewegung zu. Was heute mit der Mustererkennung für einzelne Bewegungen funktioniert, wird zukünftig auch für mehrere Bewegungsabläufe gleichzeitig machbar sein: Zum Beispiel zugreifen und simultan rotieren.

Vorausgesetzt der Anwender willigt ein, werden Hilfsmittel künftig auch vorausschauend über die Cloud gewartet. Wenn die Prothesen direktes Feedback an uns Hersteller senden, können wir die Technik proaktiv optimieren oder potenzielle Störungen vermeiden, bevor sie entstehen. Solche freiwilligen Datenspenden der Anwender ermöglichen uns, neue Produkte oder Funktionen noch zielgerichteter an den gelebten Alltag der Nutzerinnen und Nutzer anzupassen. Mit Daten zu verschiedensten Aktivitäten lässt sich zudem der individuelle Nutzen der Versorgung besser belegen. Klinische Nachweisbarkeit wird für die Erstattungsübernahme durch die Kostenträger immer wichtiger.

Eingangs habe ich die Potenziale von KI in der Medizin erwähnt, wie zum Beispiel eine genauere Diagnosestellung. Auf dem Feld der Bewegungsanalyse ist das in der Orthopädietechnik ein Stück weit Realität. Anhand weniger Kniebeugen erkennt ein tragbares Sensor-System das Risiko für eine Knie-Arthrose frühzeitig. Die Analyse unterstützt Ärztinnen und Ärtze dabei, das geeignete Hilfsmittel und die passende Therapie auszuwählen.

Um solche praktischen Anwendungen in der Bundesrepublik weiter zu fördern, brauchen Unternehmen Kreativität und Mut, aber auch gesetzliche Rahmenbedingungen, die den Umgang mit der Digitalisierung fördern. Ein Wegbereiter ist das Digitale Versorgungs-Gesetz (DVG), das mit Datentransparenz zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung durch Digitalisierung und Innovation beitragen wird. Zusätzlich fördert die nationale KI-Strategie Forschungsprojekte und 100 zusätzliche Professuren mit drei Milliarden Euro über fünf Jahre. Erste Schritte werden gemacht, Zeit für eine Pause ist es aber lange noch nicht.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2019 – Künstliche Intelligenz.

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