Gesundes Leben, Medizin, Pflege

Zieht unser Leben vor unserem Tod wirklich noch einmal an uns vorbei?

09.06.2022
Kurz und knapp

Einige Menschen, die dem Tod schon sehr nah waren, berichten, ihr Leben sei noch einmal wie ein Film vor ihrem inneren Auge abgelaufen. Halluzination oder Legende? Jetzt konnten Forschende durch Zufall verblüffende Messwerte präsentieren. Sie könnten erklären, was im Gehirn in den letzten Momenten des Lebens tatsächlich passiert.

Nahtoderfahrungen sind vielleicht mehr als Halluzinationen

Mit einem klaren Ja oder Nein lässt sich diese Frage naturgemäß nicht beantworten – niemand, der gestorben ist, kann davon berichten. Einige Menschen jedoch, die bereits im Sterben lagen und im allerletzten Moment doch noch überlebten, berichten von sogenannten Nahtoderfahrungen. Dazu gehört das sprichwörtliche „Licht am Ende des Tunnels“, aber auch das Gefühl, ihr Leben sei im Zeitraffer vor ihrem inneren Auge vorbeigezogen. Im Allgemeinen werden solche Berichte als Halluzinationen gedeutet. Sie entstehen durch den Mangel an Sauerstoff und Zucker in der Großhirnrinde, der schon wenige Sekunden nach einem Herzstillstand eintritt.

Überraschende Gehirnwellen kurz vor dem Tod

Doch Anfang 2022 hat ein Forschungsteam um Studienleiter Ajmal Zemmar, Neurochirurg an der Universität Louisville (USA) in einer Fachzeitschrift von einer spannenden Studie berichtet: Bei einem 87-jährigen Epilepsiepatienten wurde ein EEG gemacht, also die Gehirnströme aufgezeichnet, als er plötzlich einen Herzinfarkt bekam und starb. Die Auswertung der Aufzeichnungen zeigte, dass unmittelbar vor und bis 15 Sekunden nach dem letzten Herzschlag Gehirnwellen solcher Frequenzen auftraten, die typisch fürs Erinnern, Träumen oder Meditieren sind. Diese Aktivitäten könnten die messbaren Anzeichen einer Art letzten Erinnerung an das Leben sein. Zuvor hatte es bereits Studien mit Ratten gegeben, die so gedeutet wurden, dass das Gehirn während des Sterbens eine biologische Reaktion einleitet.

Wissenschaftlich dünn, aber tröstlich

Weil die Daten eines einzelnen Patienten zu wenig für eine ordentliche wissenschaftliche Studie sind, zögerten die Forschenden lange mit der Veröffentlichung: Die Beobachtungen von Ajmal Zemmar und seinen Kolleginnen und Kollegen liegen bereits sechs Jahre zurück. Es sind jedoch keine Daten hinzugekommen: „So etwas kann man nicht planen. Kein gesunder Mensch wird ein EEG machen, bevor er stirbt, und bei kranken Patienten wissen wir nicht, wann genau sie sterben werden“, sagte Zemmar. „Was wir aus dieser Forschung lernen können ist: Auch wenn unsere Lieben ihre Augen geschlossen haben und bereit sind, zur Ruhe zu kommen, spielt ihr Gehirn vielleicht noch einmal einige der schönsten Momente ab, die sie erlebt haben.“ Tröstlich.

Der wissenschaftliche Bericht über die Studie im Original. 

Einordnung durch Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung finden Sie hier

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