Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Sicherheit

Wie schaffen wir es, Altersarmut in Deutschland zu bekämpfen?

30.08.2022
Kurz und knapp

Frauen, die für die Familie da sind, Selbstständige, die scheitern und ihre privaten Vorsorgeformen auflösen müssen, Zugewanderte, Personen mit persönlichen Schicksalsschlägen – es gibt viele Menschen mit einem erhöhten Risiko, im Alter arm zu werden. Rentenreformen könnten solche Risiken verringern, aber auch die Änderung gesellschaftlicher Strukturen ist notwendig, um allen ein erfolgreiches Erwerbsleben zu ermöglichen.

Diese Frage hat unsere Wettpatin Margarethe Honisch bei unserer Aktion „Die Fragenwette“ gestellt.

Die Altersarmut wächst

Mit dem Alter kommt die Weisheit, sagt der Volksmund. Doch manchmal kommt auch die Armut, zeigt die Statistik: 21 Prozent aller über 65-Jährigen sind hierzulande armutsgefährdet, also über 3,5 Millionen ältere Menschen. Viele können ihren Lebensstandard nicht mehr halten. Andere waren schon in den Jahren vor der Rente arm und bleiben es im Alter. Als armutsgefährdet gilt jede Person, die höchstens 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat – im Jahr 2020 lag dieser Wert bei 1.173 Euro monatlich. „Das Problem wächst“, sagt Florian Blank vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung, einer gewerkschaftsnahen Einrichtung, „2008 waren nur knapp 15 Prozent aller Älteren armutsgefährdet.“

Am häufigsten trifft es Frauen, die sich der Familie widmen und somit ihr Erwerbsleben unterbrechen, einschränken oder ganz aufgeben. Des Weiteren: Selbstständige, die Konkurs gehen, und ihre privaten Vorsorgeformen auflösen müssen, zugewanderte Personen, die oft im Niedriglohnsektor arbeiten, Ostdeutsche, die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung zwischen 40 und 50 Jahre alt waren und zu Leidtragenden des massiven Stellenabbaus in den neuen Bundesländern wurden sowie Menschen mit persönlichen Schicksalsschlägen und beispielsweise Suchtproblemen.

Sind die Niederlande ein Vorbild?

In den Niederlanden sind ältere Menschen besser gegen Armut abgesichert als bei uns. Wer dort sein gesamtes Erwachsenenleben verbringt, hat ab dem Renteneintrittsalter vollen Anspruch auf eine Grundrente. Für Alleinstehende liegt sie bei ungefähr 1244 Euro monatlich. Dieses Geld erhält sogar, wer nie gearbeitet hat und somit nichts in die Rentenkasse einzahlen konnte. Hierzulande gibt es in diesen Fällen nur die Grundsicherung. „Sie ist eine Sozialhilfeleistung und steht Menschen zu, die über zu wenig Einkommen oder Vermögen verfügen, um das Existenzminium zu erreichen“, sagt Experte Blank. Vor Altersarmut schützt sie aber nicht.

Kann das niederländische Modell auch in Deutschland funktionieren? „Das hängt davon ab, was wir als gerecht empfinden und was wir uns leisten wollen“, sagt der Politikwissenschaftler. Bei der Diskussion um die deutsche Grundrente, die seit Januar 2021 in Kraft ist, habe er allerdings beobachtet, dass es der Gesellschaft in Deutschland wichtig sei, die Höhe der Renten an die jeweilige Lebensleistung der Empfänger und Empfängerinnen zu knüpfen. Das sei ein Grund dafür, weshalb nur solche Menschen die deutsche Grundrente beanspruchen dürfen, die 33 beziehungsweise 35 Jahre lang gearbeitet haben oder andere Vorleistungen vorweisen können.

Werkzeuge Grundsicherung und Rentenpolitik

Blank findet: „In Deutschland haben wir grundsätzlich gute Werkzeuge, wir müssten sie aber überholen, damit sie besser vor Altersarmut schützen.“ So könnten wir etwa die Grundsicherung anpassen und bedürftigen älteren Menschen höhere Sätze zahlen. Zum anderen ließe sich das Rentensystem reformieren: Zum Beispiel könnten Menschen bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit höhere Rentenansprüche erwerben, findet der Fachmann. „Eine andere Möglichkeit wäre, das System insgesamt großzügiger zu gestalten.“ Vereinfacht gesagt würden dann alle mehr bekommen, die Renten wären insgesamt stabiler. „Folglich würden Rentenempfänger und Rentenempfängerinnen am unteren Rand nicht so leicht unter die Armutsgrenze rutschen.“

Und wer soll das bezahlen? „Im internationalen Vergleich hat Deutschland kein besonders großzügiges Rentensystem“, sagt Florian Blank. Wir könnten mehr Geld für die Renten in die Hand nehmen – zum Beispiel indem Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen sowie Beschäftigte  höhere Beitragssätze zahlen. „Studien weisen darauf hin, dass diese zusätzlichen Abgaben die Unternehmen nicht schwächen, sondern der Wirtschaft insgesamt sogar zugutekommen“, erklärt der Wissenschaftler, „denn höhere Renten stärken die Kaufkraft des älteren Teils der Bevölkerung.“ Außerdem könnten Beamte und Beamtinnen in das Rentensystem eingeschlossen werden sowie Existenzgründer und Existenzgründerinnen. Sie sind bisher nicht pflichtversichert. „Zusätzlich sollten wir es schaffen, dass mehr Frauen länger berufstätig sind und höhere Beiträge einzahlen“, so Blank. „Wir können an vielen Stellschrauben drehen, um mehr Geld zur Verfügung zu haben.“

Mehr Lebensqualität in jungen Jahren – weniger Armut im Alter

Menschen, denen es gelingt, im Berufsleben erfolgreich zu sein, schützen sich quasi selbst vor Armut im Alter, denn sie zahlen mehr Geld in die Kassen ein und holen somit später mehr heraus. Doch längst nicht alle haben die gleichen Chancen. „Da müssen wir ansetzen“, empfiehlt Florian Blank. „Zum Beispiel brauchen wir einen besseren Arbeitsschutz, effektivere Weiterbildungsmöglichkeiten und gerechtere Löhne.“ Eine weitere Baustelle: Es sollte den Menschen erleichtern werden, Familien- und Erwerbsarbeit zu vereinen, damit insbesondere Frauen im Alter nicht arm werden.

Es gilt also, das Thema „Schutz vor Altersarmut“ in allgemeinere Überlegungen einzubeziehen, die auch Jüngere betreffen: Es sollte darum gehen, wie wir mehr Menschen schon in jüngeren Jahren ein gutes Leben ermöglichen können.

Vorbildlich: Ein Verein hilft älteren armen Menschen.

Inspirierende Fragen

1 Artikel  ·  Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Sicherheit
Anonym10.04.2022