Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Neuland. Jetzt mal ehrlich!

Digitales Dolmetschen

Freunde sitzen auf dem Sofa mit ihren Smartphones und Tablets.
Auch Digital Natives sollten sich intensiv mit den Folgen der Digitalisierung beschäftigen. (©Maica/iStock)

Im seinem Blogbeitrag stellt der Digital Native Philipp Riederle seine Generation vor und erklärt, warum die digitale Revolution Herausforderungen an uns alle stellt – egal ob Digital Native oder Digital Immigrant.

Ein Blogbeitrag von Philipp Riederle

Eigentlich hat die Vernetzung nicht viel verändert. Im Grunde sind es nur drei konkrete Neuerungen. Jeder kann mit Jedem kommunizieren, jeder kann auf jede frei verfügbare Information zugreifen, jeder kann selbst publizieren. Eigentlich alles ganz einfach. Was also ist am #Neuland so schwer verständlich?

Seit letztem Jahr darf ich mich endlich als Abiturient bezeichnen. Auswendiglernen und Wissen anwenden, das ist mir die vergangenen zwölf Jahre endlos gepredigt worden. Doch was hat es mir eigentlich gebracht, außer einer Abiturnote? Klar, stehen mir jetzt „alle Wege offen“. Aber: Alles, was mich wirklich interessiert, konnte und habe ich im Internet erfahren. Deswegen schreit auf einmal jeder: „Wir brauchen Laptops in den Klassenzimmern und digitale Schulbücher!“. Klar. Ebendiese bringen aber erwiesenermaßen keinerlei Verbesserung für den Lernerfolg. Komisch. Aber eigentlich auch klar. Denn: Die Lehrpläne sind die selben und die Bemühungen viel zu kurz gedacht. Es gilt nämlich nicht nur zu hinterfragen, welche Medien werden zur Wissensvermittlung eingesetzt, sondern vielmehr: Welches Wissen und welche Fertigkeiten gehören heute zum Bildungskanon, wenn jede Information innerhalb von Sekunden immer auf Abruf bereit steht? Welche Anforderungen werden im Berufsleben einmal an den Arbeiter der Zukunft gestellt?

Die Digitalisierung revolutioniert gerade still und heimlich die Arbeitswelt, manche Wirtschaftsexperten sagen sogar, intensiver als die Industrielle Revolution. Viele Berufsbilder unterliegen einem massivem Wandel. So könnte man überspitzt fragen: Wer braucht noch Taxifahrer, Paketzusteller oder Zugführer in Zeiten von selbstfahrenden Autos und Zügen? Wer benötigt noch Supermarktverkäufer in Zeiten von selbstbestellenden Kühlschränken? Wer noch einen Lagerleiter bei selbstorganisierten Lagersystemen und wer noch einen Maschinenführer nach der Robotisierung? Aber auch: Wer benötigt noch einen Arzt, in Zeiten immer intelligenter werdender Computer? 

Ein junger Mensch sitzt auf der Wiese.
Der Generation Y ist Selbstverwirklichung wichtig. ©Rock and Wasp/shutterstock

An die überlebenden und sich neu bildenden Berufsgruppen werden andere Anforderungen gestellt. Noch sind Computer nämlich deutlich überfordert, wenn es zum Beispiel um Empathie, Menschlichkeit, Kreativität, Erfindergeist, individuelles Handwerk, flexible Organisation, technisches Verständnis (um all die Maschinen zu programmieren) geht. All das ist bisher kaum in unseren Lehrplänen zu finden.

 

Zu allem Überfluss, wo sich doch sowieso schon so viel verändert, tritt jetzt auf einmal auch noch die Generation, für die alles Digitale schon immer selbstverständlich war, mit gänzlich anderen Werten, Ansprüchen und Anforderungen ins Berufsleben ein. Kostprobe? Für meine Elterngeneration entscheidende Werte wie hoher Verdienst und gesellschaftlicher Status sind bei uns ganz nach hinten gerutscht. Auf den Top 3 bei der Arbeitgeberwahl steht bei der Generation Y jetzt: Subjektive Wahrnehmung der Sinnhaftigkeit der Tätigkeit, Selbstverwirklichung und das Passen des Arbeitsplatzes zu den individuellen Bedürfnissen. Durch ein neues Selbstverständnis von Information und Kommunikation, gehen junge Leute heute anders an die Bewältigung von Aufgaben heran.

Zu allem Leid der Arbeitgeber werden wir immer mehr, in 10-20 Jahren werden wir schon bis zu 70 Prozent aller Arbeitnehmer darstellen. Der Fachkräfte-, Azubi- und Nachwuchsmangel trifft immer mehr Unternehmen schon jetzt mit voller Härte. Es bleibt keine andere Wahl: Es wird höchste Zeit, sich auch auf die junge, digital geprägte Generation einzustellen.

Ganz tollkühn könnte man obige Fragerei noch weiter spinnen: Wer braucht in Zeiten von Augmented Reality und Datenbrillen eigentlich noch echte Freunde? Etwa 60 Prozent der Jugendlichen sagen bei Befragungen heute schon leichtfertig, sie würden lieber auf Sex verzichten, als auf ihr Smartphone. Existiert noch Individualität? Wenn Algorithmen jedes Detail unseres Verhaltens analysieren, abgleichen und uns alleine durch die automatisierte Selektion von Informationen in hohem Maße beeinflussen? Oder wenn Supermarktketten schon heute an minimalen Veränderungen im Einkaufsverhalten eine Schwangerschaft in den ersten Wochen zielsicher erkennen könne? Gibt es überhaupt noch Geheimnisse - wenn selbst die erste Frau im Staate offenbar abgehört wird?

Wir alle betreten #Neuland. Jeder einzelne. Auch all die Digital-Versteher. Wir alle sollten uns das eingestehen. Und wir müssen uns unbedingt damit beschäftigen. Jeder! Intensiv! Es geht darum, heute die Weichen zu stellen, wie stark und unter welchen Rahmenbedingungen wir die Digitalisierung in unser Leben lassen. Und wer am Ende eigentlich wen kontrolliert. Es geht nämlich absolut nicht darum, wie oft ich auf Facebook poste, welches Smartphone das Beste ist und wie eine erfolgreiche Social-Media-Strategie aussieht. Es geht um viel mehr, um viel tiefgreifendere Veränderungen. Die korrekte Frage lautet: Wie könnt ihr nur glauben, das Ausmaß der Digitalisierung sei heute schon begreifbar?

Foto von Philipp Riederle
Foto: Alescha Birkenholz

Philipp Riederle (geb. 1994) klärt internationale Wirtschaftsgrößen erfolgreich über die Digitalisierung und die Generation Y auf. Er ist Autor der Buchs „Wer wir sind, und was wir wollen – Ein Digital Native erklärt seine Generation.“