Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Und es werde Licht!

Wie uns Big Data eine neue Sicht auf die Dinge ermöglicht

Kann uns Big Data die Welt erklären? (©Champiofoto/shutterstock)

Ein Blogbeitrag von Viktor Mayer-Schönberger

Viele beschreiben Big Data als Werkzeug der Wirtschaft, um mithilfe von meist personenbezogenen Daten Produkte noch besser zu vermarkten und zu verkaufen. Doch dieses Verständnis ist sehr eingeschränkt und verstellt den Blick auf das Wesentliche: Richtig angewandt kann uns Big Data helfen, die Welt in einer Detailtiefe zu verstehen, die bisher schier undenkbar war. Die Möglichkeit mit Algorithmen Zusammenhänge zu erkennen, die ein Mensch selbst nicht erfassen kann, wird uns eine völlig neue Sicht auf die Dinge eröffnen.

Seit jeher versuchen wir die Welt zu verstehen. Wir beobachten und entwickeln Theorien über die Wirklichkeit. Diese überprüfen wir dann mithilfe neu erhobener Daten. Weil das Sammeln, Festhalten und Analysieren von Informationen aber viel Zeit und Geld kostet, haben wir immer versucht, die Datenmengen möglichst übersichtlich zu halten. Unsere Methoden, unsere Instrumente zum Erkenntnisgewinn, ja unsere gesamte Kultur des Erkenntnisgewinns war von den praktischen Schwierigkeiten im Umgang mit großen Volumina geprägt.

Nur finden, was gesucht wird

Dazu behalfen wir uns bis jetzt mit sogenannten randomisierten Samples, die erlauben, aus einer relativ kleinen Untermenge an Daten auf das große Ganze zu schließen. In der Qualitätssicherung sowie bei Meinungsumfragen haben wir damit im Laufe der Zeit große Fortschritte machen können. Aber diese Methode bleibt eine Krücke, die uns nicht den Blick auf Details eröffnet, sondern vor allem erfordert, dass wir schon beim Sammeln der Daten genau wissen, wofür wir sie verwenden.

Das ist wie beim Fotografieren: Wir müssen schon zum Zeitpunkt des Schnappschusses festlegen, welche Bereiche im Bild uns wichtig sind und welche Bereiche auch verschwommen aufgenommen werden können. Beim späteren Betrachten des Fotos können wir diese Entscheidung nicht mehr revidieren. So ging es uns auch mit Small Data: Weil wir nur Teilmengen sammelten, mussten wir uns schon vor dem Sammeln entscheiden, was uns wichtig war. Ergaben sich später neue Fragen, an die wir nicht gedacht hatten, mussten neue Daten erhoben werden.

Big Data: Beschleunigung des Erkenntnisprozesses (©genky/shutterstock)

Alles finden

Für die Fotografie verändert sich dies gerade. Sogenannte Lichtfeldkameras zeichnen Bilder in ihrer gesamten Tiefe auf und nicht nur eine einzelne Bildebene. Mit einem Klick lässt sich dann später ein vermeintlich verschwommener Bereich des Fotos scharf stellen. Genauso funktioniert auch Big Data: Haben wir nahezu alle Daten gesammelt und analysiert, lassen sich damit auch Fragen beantworten, die wir vor der Erhebung noch gar nicht kannten.

Das bedeutet praktisch, dass Forscher nicht mehr nur eine erdachte Hypothese mit einem Datenset testen, sondern automatisiert Millionen von Hypothese, generieren und testen lassen können. Richtig angewandt bringt dies eine unglaubliche Beschleunigung des Erkenntnisprozesses: Wir werden die Welt, die uns umgibt, in ihrer ganzen Komplexität besser und genauer verstehen als je zuvor.

Zunächst mag das beunruhigend sein, weil uns damit klar wird, wie wenig wir in unserer Small-Data-Welt wirklich wissen und wie oft wir dies mit vereinfachenden Hilfestellungen zu kompensieren versuchen. Hilfestellungen, die oft trivialisieren, und mit denen wir uns immer ein gutes Stück selbst belügen. Aber bald werden wir begreifen, dass diese Demut gegenüber der Wirklichkeit gut tut. Denn sie zeigt uns, wie viel es noch zu entdecken gibt - und mit Big Data steht uns dafür ein mächtiges Werkzeug zur Verfügung.

Viktor Mayer-Schönberger, Oxford

Prof. Dr. Viktor Mayer-Schönberger ist ein österreichischer Jurist, Hochschullehrer und Buchautor. Er studierte Rechtwissenschaften an der Universität Salzburg und Harvard und graduierte zudem zum Master of Science an der London School of Economics. Aktuell lehrt Mayer-Schönberger "Internet Governance and Regulation" am Oxford Internet Institute der Universität Oxford. Zuvor war er unter anderem an der Harvard Kennedy School of Government tätig und Inhaber der von ihm gegründeten Firma Ikarus Software. Mayer-Schönberger ist zudem Autor des preisgekrönten Buches "Delete: The Virtue of Forgetting in the Digital Age".