Wissenschaftsjahr 2007 - Aufklärung

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Aufklärung

"Man muss diesen ganzen alten Unfug ausrotten! Die Schranken umstoßen, die nicht die Vernunft gesetzt hat! Den Wissenschaften und Künsten eine Freiheit wiedergeben, die für sie so unersetzlich ist!" Wer so sprach, war Denis Diderot, der führende Kopf der großen "Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers" (Enzyklopädie oder vernünftig aufgebautes Wörterbuch der Wissenschaften, der Künste und des Handwerks).

Die 28 Bände und über 70.000 Einträge umfassende Encyclopédie, veröffentlicht in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in Paris, gilt als das zentrale Projekt jener Epoche, die wir heute als "Zeitalter der Vernunft", als das "philosophische Jahrhundert" oder ganz einfach als "Aufklärung" bezeichnen.

Vorausgegangen war ein komplexer Prozess der Emanzipation der Philosophie von der Theologie, als deren "Magd" sie einst bezeichnet worden war. Schließlich überwölbte die Philosophie auch die alten Artes-Disziplinen, stieg im Zeichen des Rationalismus zur neuen Universalwissenschaft auf. Die Philosophie wurde zur entscheidenden Stichwortgeberin für die Vernunft-Revolution: Aufklärung, das bedeutet in den berühmten Worten Immanuel Kants aus dem Jahr 1784, den "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit". Öffentlich sollten die Bürger von ihrer Vernunft Gebrauch machen und, wenn nötig, die Notwendigkeit von Reformen an ihren König herantragen.

Anders als der vorsichtige deutsche Philosoph nahmen die französischen Aufklärer die etablierten Autoritäten direkt und tatkräftig ins Visier. Ihr größtes Projekt, die Encyclopédie, verkörperte allein durch ihre bloße Existenz einen Triumph des freien Denkens, der Säkularisierung und des privaten Unternehmertums. Betrieben wurde sie von einer Handvoll "hommes des lettres", also Intellektuellen, Bohèmiens und Universalgelehrten. Viele von ihnen stammten aus einfachen Verhältnissen. Von den Zuarbeitern waren etliche zugleich Autoren von illegalen Pamphleten, die heimlich in Wirtshäusern und an Straßenecken verkauft wurden.

Aber bereits die Encyclopédie selbst war Grund genug, dass Denis Diderot und seine Mitstreiter Louis de Jaucourt, Jean d’Alembert und Jean Jacques Rousseau im Polizeistaat Ludwig des XV. bedroht und bespitzelt wurden, dass man sie gefangen nahm, ins Exil trieb und ihren Besitz beschlagnahmte.

Das Unternehmen der Encyclopédie trotzte all diesen Umständen. Schließlich war sie kein gewöhnliches Nachschlagewerk, das zusammengetragene Wissen aus Wissenschaft, Kunst und Handwerk kein Selbstzweck. Die Autoren hatten es auf ein neues Ideal der Bildung des Menschen und eine Reform der Gesellschaft abgesehen.

Statt an die Autorität von König und Kirche glaubten die Enzyklopädisten daran, dass alle Menschen aufgrund ihrer Vernunft gleichermaßen frei seien, selbst über ihr Leben zu bestimmen. Vor allem in Gestalt dieses Grundgedankens trat die Aufklärung einen Siegeszug über ganz Europa und schließlich weite Teile der Welt an: die Menschenrechte, die Freiheit der Person und der Religion, die Demokratie und der Rechtsstaat bis hin zum Ideal der Toleranz – all dies sind Früchte der Aufklärung.

Die modernen Wissenschaften vom Menschen, die sich im Zuge der Aufklärung entwickelten, gaben den Nährboden ab, auf dem diese Ideen zur Reife gelangen konnten.
Gesellschaftswissenschaften und Geschichtsforschung, der historisch-kritische Umgang mit religiösen Textquellen, die Vorstellung von einer Entwicklung der Kulturen wurden von den Autoren der Aufklärung erst als eigenständige Felder akademischer Tätigkeit etabliert.
Leben wir heute also in einem aufgeklärten Zeitalter? Schließlich sah sich die Aufklärung in den modernen Geisteswissenschaften einer kritischen Überprüfung ausgesetzt: Während die Sozialphilosophie Frankfurter Prägung bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts vor einem immer drohenden Umschlag der Aufklärung zurück in den Mythos warnte, lehnten sich später postmoderne Denker aus Soziologie und Philosophie gegen den Absolutheitsanspruch der aufklärerischen Vernunftdogmatik auf. Genau diese Kritik aber darf als positives Anzeichen gelten: Aufklärung ist kein Zustand, sondern ein lebendiger Prozess. 


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