Wissenschaftsjahr 2007 - Courage



Courage

Zu den vier Kardinaltugenden zählt seit Platon die Tapferkeit. Dass diese in der Neuzeit allmählich vom Mut – in seiner französischen Fassung: der Courage – überstrahlt wird, hat auch damit zu tun, dass in einer komplex strukturierten Welt militärische Stärke nicht mehr unbedingt das wichtigste Fundament einer Gesellschaft ist. Tapferkeit blieb bedeutsam, aber auch Entdeckermut, Forschermut, Mut zu neuen Organisationsformen waren jetzt gefragt. Es war kein kleines Wagnis, in der Frühmoderne überlebten Strukturen zu entkommen.
Die Welt umgestalten in eine vernünftige Einrichtung wollte auch die Aufklärung. Zum "Wahlspruch" erhob der deutsche Philosoph Immanuel Kant daher das lateinische Sprichwort "Sapere aude!", also "Wage zu denken!“. Kants epochale und zeitlose Übersetzung lautet: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" Es gibt wenige Reformulierungen, die diesem Satz an Eindrücklichkeit nahe kommen; zu ihnen gehört diejenige der Philosophin Hannah Arendt in einem Interview mit Joachim Fest: "Niemand hat das Recht zu gehorchen."

Es war bittere Ironie, als Bertolt Brecht der tragischen Figur jener am Krieg verdienenden Begleiterin der Truppen den Namen "Mutter Courage" verliehen hat; zwar fürchtet sie die Schlacht nicht, aber es fehlt ihr eben der Mut, gegen die Verhältnisse aufzubegehren, obwohl der Krieg nach und nach ihre Kinder in den Tod reißt. Mutter Courage denkt bis zum Schluss ans Geschäft: "Es ist nicht alle Tag Krieg, ich muß mich tummeln". Eine leichte Verschiebung hat von Kants Mut zu Brechts (indirekter) Courage stattgefunden: Zum Verstand tritt hier das Engagement, zur Erkenntnis die Tat.

Diese Beherztheit macht Courage in der heute geläufigen Definition aus. Das französische Wort geht auf "cœur" zurück, das Herz, wohingegen sich der Mut auf den germanischen "Zorn" bezieht. In Deutschland lässt sich das Lehnwort Courage seit dem 16. Jahrhundert nachweisen. Deutlich jüngeren Datums ist die Neubildung "Zivilcourage", weniger eine Umwertung denn eine Schärfung des alten Begriffs: Sie entsteht im 19. Jahrhundert nahezu zeitgleich in Frankreich und Deutschland. Otto von Bismarck wird die Beobachtung zugeschrieben, es fehle in Deutschland nicht an Mut auf dem Schlachtfeld, aber vielen achtbaren Leuten an Zivilcourage.

Spätestens hier also ist die Einmischung nicht mehr nur mitgedacht, sondern bestimmend. Unter ziviler, mithin bürgerlicher Courage versteht man das Eintreten für Werte, von denen man persönlich überzeugt ist, ohne Rücksicht auf sich selbst. Häufig kommt es jedoch vor, dass Gewalt im Alltag zwar wahrgenommen wird, aber unwidersprochen bleibt: Die Psychologie spricht vom "Bystander"-Effekt (Zuschauer-Effekt). Neben Sozialpsychologie und Geschichtswissenschaft hat sich die Pädagogik seit den siebziger Jahren verstärkt der "Handlungskategorie" Zivilcourage angenommen: Zahlreiche Pädagogen vertreten die Meinung, Zivilcourage könne und müsse wie jede Sozialkompetenz gelernt werden. Zahlreiche Projekte widmen sich so dem Einstudieren dieser Verhaltensweise.

Zivilcourage, eine der modernen Kardinaltugenden, kann bis zum Ungehorsam reichen, wie uns insbesondere die Friedensforschung zeigt. Schon die Antike hat die ethischen Komplikationen des Tyrannenmords diskutiert. In Deutschland führte die Erfahrung mit dem nur in Ansätzen vorhandenen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zur juristischen Ausgestaltung des Widerstandsrechts, das im Grundgesetz in Artikel 20, Absatz 4, als Gegenstück zum staatlichen Gewaltmonopol festgeschrieben ist. Jeder Deutsche hat das Recht, passiv und aktiv Widerstand zu leisten gegen jeden, der die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen unternimmt, sofern keine andere Abhilfe möglich ist.

Zivilcourage aber bleibt in der Regel auf kleinere Konflikte im eigenen Umfeld bezogen. Mit der Courage sollte sich dabei das Mitgefühl verbinden, wie die Sozialpsychologie seit den siebziger Jahren lehrt. Ja, die Empathie darf sogar die Führung übernehmen. Habe Mut, so ließe sich Kants eherne Formel ergänzen, dich auch einmal nicht deines Verstandes zu bedienen, sondern von einem fremden Schicksal bewegen zu lassen. Mut zur Begeisterung ist es auch, den Johann Wolfgang Goethe bereits im Jahre 1827 einforderte: "Die Deutschen sind übrigens wunderliche Leute! [...] Ei, so habt doch endlich einmal die Courage, euch den Eindrücken hinzugeben, euch ergötzen zu lassen, euch rühren zu lassen, euch erheben zu lassen, ja euch belehren und zu etwas Großem entflammen und ermuthigen zu lassen; aber denkt nur nicht immer, es wäre alles eitel, wenn es nicht irgend abstracter Gedanke und Idee wäre!"


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