Wissenschaftsjahr 2007 - Jugend

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Jugend

Juniorprofessuren, Nachwuchsförderung, Jugend forscht –die Bildungs- und Wissenschaftspolitik richtet zu Recht ihr Hauptaugenmerk auf die Jugend. Denn von ihr sind Impulse und Innovationen zu erwarten, in den Schulklassen von heute sitzen die Wissenschaftler von morgen. Sie zu vernachlässigen wäre sträflich.

Seit das Denken in organischen Modellen verbreitet ist, seit dem 19. Jahrhundert also, trifft man die Jugend auch an eher unvermuteter Stelle. Staaten konnten jung sein: "La jeune France", "Junges Deutschland". Der Jugendstil überzog um 1900 Europa mit floralen Mustern. Ganze Kulturen wurden analog zu Lebewesen aufgefasst: "Haben die für alles Organische grundlegenden Begriffe Geburt, Tod, Jugend, Alter, Lebensdauer in diesem Kreise vielleicht einen strengen Sinn, den noch niemand erschlossen hat?" fragte Oswald Spengler im Jahre 1918. Er war allerdings – unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs – davon überzeugt, dass die Kultur des Abendlands bereits ihrem Untergang entgegenstrebe.

Ironischerweise schien gerade der europäische Faschismus, in weiten Teilen eine Jugendbewegung, einige von Spenglers Thesen zu bestätigen. Besonders die Nationalsozialisten nahmen sich auf vielfältige und perfide Weise der Jugend an. Wenige Jahrzehnte später grenzte sich erneut eine junge Generation von den Eltern ab, die ihr nun als "Täter" erschienen. Inzwischen behandelte auch die Soziologie "die moderne Jugend" als eigenständige Subkultur. Viele Geisteswissenschaften sehen die Jugend als Untersuchungsgegenstand an, meist jedoch in spezieller Perspektive: Die Entwicklungspsychologie interessiert sich besonders für die Identitätsbildung, die Politikwissenschaft für die Entstehung eines politischen Bewusstseins. In ihrer Gesamtheit wurde die Jugend und ihre Protestbewegung von der (Reform-)Pädagogik zu erfassen versucht: Jugendbewegung und Reformpädagogik sind geradezu in enger Verschränkung entstanden.

Das alles könnte vergessen lassen, dass es Jugend und Kindheit – obwohl als biologische Phänomene so alt wie die Menschheit – als Kategorien der Wahrnehmung nicht immer gegeben hat, wie die Kulturgeschichte herausgestellt hat. So galten Kinder im Mittelalter als kleine Erwachsene, mit denen sie Rechte und Pflichten teilten. Auch die hohe Kindersterblichkeit mag ein Grund dafür gewesen sein, dass die Bindung wenig emotional ausfiel. In den Städten des späten 14. Jahrhunderts ist jedoch eine neuartige Beziehung zum Kind zu erkennen; immer öfter wurde hier die Forderung erhoben, erkrankte Kinder müssten vorrangig geheilt werden.

Allmählich entwickelt sich zudem die Idee, Jugendliche vor Gefahren planmäßig zu behüten. So empfiehlt der englische Philosoph John Locke in seinen "Gedanken über Erziehung" von 1693 die Vorbeugung als bestes Mittel für die Gesundheit. Zwei weitere Faktoren führten zu Neubewertungen der Jugend: Die Einführung eines weltlichen Schulsystems ab dem 16. Jahrhundert sowie das aufklärerische Interesse am Individuum und seiner Autonomie, für das beispielhaft Jean-Jacques Rousseaus "Émile" von 1762 steht. Schritt für Schritt wird darin die kaum merklich gesteuerte Erziehung eines fiktiven Jungen vorgeführt. Lesen freilich gehörte nicht zum Bildungsprogramm Rousseaus: "Lektüre ist die Geißel der Kindheit". Gleichwohl kam zu dieser Zeit das pädagogisch ausgerichtete Genre Jugendliteratur auf.

Jugend besaß von nun an einen Eigenwert. Das befähigte sie allerdings auch, sich gegen die Traditionen zu stellen, rebellisch zu werden. Prototypisch kam die revoltierende Jugend 1774 in den "Leiden des jungen Werther" zum Ausdruck, Goethes größtem Bucherfolg. Der nachmalige Klassiker hatte hier eine Figur geschaffen, die gegen alle Konventionen verstieß und die Unterordnung bis zum tragischen Ende verweigerte. Mit dem bald grassierenden "Werther-Fieber" fand eine frühe Jugendbewegung ihre Form. Einige zeitgenössische Kritiker griffen zu harschen Worten, verdammten den Roman als jugendlichen Schund. Doch den Sieg trug letztlich der Roman davon, nicht die Kritik. Man muss die Jugend nicht immer mögen, unterschätzen aber sollte man sie nie.


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