Wissenschaftsjahr 2007 - Toleranz

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Toleranz

Ohne Toleranz wäre kein Austausch von Gedanken möglich, kein freies Forschen, kein gewaltloses Zusammenleben. "Toleranz ermöglicht Differenz, Differenz benötigt Toleranz", sagt der US-amerikanische Sozialphilosoph Michael Walzer. So wird Toleranz zu einer Grundtugend der globalisierten Welt – schließlich treffen in ihr die Unterschiede verschiedener Religionen und kultureller Hintergründe direkt aufeinander. Allerdings treten in ihr auch die Grenzen der Toleranz deutlich hervor.

Die klassische Begründung der Toleranz stammt von dem englischen Philosophen John Locke. 1689 erschien seine grundlegende Abhandlung "A Letter Concerning Toleration", geschrieben vor dem Hintergrund schwerer religiöser Konflikte in England. Bei Locke tritt Toleranz nicht als moralische Forderung an den Einzelnen auf, sondern als Ergebnis der Einsicht in die prinzipielle Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis und in die Notwendigkeit der Gewaltenteilung im modernen Staat.

"Weder das Recht noch die Kunst des Regierens zieht notwendig die gewisse Kenntnis anderer Dinge nach sich und am wenigsten der wahren Religion", schrieb Locke. An anderer Stelle seines Toleranzbriefes heißt es: "Mit einem Wort: was sonst auch in der Religion zweifelhaft sein mag, so ist doch wenigstens dies sicher, dass keine Religion, an deren Wahrheit ich nicht glaube, für mich wahr oder nützlich sein kann." Menschen, bedeutet das, können nicht zu ihrem Heil gezwungen werden.

Religiöse Grundüberzeugungen werden damit zur nicht antastbaren Menschenwürde gezählt. Der Staat – als Inhaber des Gewaltmonopols – darf sie mit Gewalt weder durchsetzen noch bekämpfen. Vielmehr muss er so eingerichtet sein, dass er verschiedene Glaubensinhalte tolerieren kann, selbst wenn diese einander fundamental widersprechen sollten. Toleranz ist so seit Locke an den liberalen, im Kern säkularen Rechtsstaat gebunden, ja, nicht nur eine ethische, sondern eine Rechtskategorie.

Mit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts avancierte Toleranz zur zentralen Tugend des modernen Bürgers – selbst wenn sie manchmal nur schwer umgesetzt werden kann. Dem französischen Aufklärer Voltaire wird das ebenso stolze wie zähneknirschende Zitat zugeschrieben: "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst." Nicht nur gegenüber religiösen Überzeugungen, sondern auch gegenüber politisch Andersdenkenden und abweichenden Lebensführungen ist dabei in einer modernen Gesellschaft Toleranz gefordert. Praktische Voraussetzung dafür ist neben der Gewaltenteilung auch das Recht eines jeden Bürgers auf freie Meinungsäußerung. Das ist der Kern des Voltaire-Zitates. Noch heute ist Toleranz ein wichtiger Lehrinhalt in der Politischen Bildung. In der Sozialethik waren feine Unterscheidungen nötig, was zu einer Zuschärfung des Toleranzbegriffs führte, indem er von der stärkeren Akzeptanz einerseits und von der schwächeren Ignoranz andererseits abgehoben wurde.

Wie aber verfährt man mit Menschen, Institutionen oder gar ganzen Staaten, welche die von John Locke analysierte Toleranzpflicht partout nicht anerkennen wollen? Dieses Problem wurde im 20. Jahrhundert sehr virulent, ganz massiv in der Auseinandersetzung mit dem vollkommen intoleranten deutschen Naziregime.

In der Zeit des Zweiten Weltkriegs registriert der Philosoph Karl Popper das Paradox der Toleranz: Uneingeschränkte Toleranz ist gegenüber Intoleranz wehrlos und werde zum Verschwinden der Toleranz führen, schrieb er in seiner Studie "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde". Nach Popper muss der liberale Staat vielmehr für sich das Recht in Anspruch nehmen können, intolerante Philosophien mit Gewalt zu unterdrücken. Für den Fall nämlich, dass die Intoleranten nicht bereit sind, die Spielregeln rationalen Argumentierens einzuhalten.

Nun sind aber, darf hinzugefügt werden, die Feinde der Toleranz nicht immer so klar auszumachen wie im Fall des Naziregimes. Die Frage, welche Philosophien als intolerant eingeschätzt werden, muss also wiederum stets Teil einer im Geiste der Toleranz geführten Debatte bleiben. So bleibt die Toleranz eine prinzipiell prekäre Tugend – so wichtig sie auch ist in unserer komplexen Welt voller religiöser, kultureller und politischer Differenzen.


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