Wissenschaftsjahr 2007 - Vertrauen

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Vertrauen

"Moralische Freundschaft [..] ist das völlige Vertrauen zweier Personen in wechselseitiger Eröffnung ihrer geheimen Urtheile und Empfindungen, so weit sie mit beiderseitiger Achtung gegen einander bestehen kann", so schreibt Immanuel Kant 1797 in seiner Metaphysik der Sitten und bringt ein elementares Kriterium gelingender menschlicher Beziehungen auf den Begriff: das Vertrauen.

Ohne Vertrauen – Grundvoraussetzung bei Kant sogar jeder Tischgesellschaft – wäre jede Begegnung von Menschen, wäre jede Sozialbeziehung unmöglich. Erst im Glauben an die Ehrlichkeit und das Wohlwollen des Anderen, erst durch einen solchen – wieder mit Kant gesprochen – ungeschriebenen wechselseitigen "Vertrag der Sicherheit", können wir mit den Unabwägbarkeiten unserer Umwelt umgehen. Schon die germanische Wortsippe um "treu", dem etymologischen Vorfahren von "Vertrauen", bedeutet "fest, sicher", aber auch "glauben" und "hoffen".

Vertrauen, wenngleich es sprichwörtlich immer ein wenig "blind" erscheint und das Risiko des Scheiterns in sich birgt, ist somit nicht nur eine unabdingbare Voraussetzung zwischenmenschlicher Kooperation – sei sie nun privater oder ökonomischer Natur –, es verhilft auch zu einer "Reduktion der sozialen Komplexität", wie es mehr als zwei Jahrhunderte später in der Systemtheorie des Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann heißt. Angesichts der durch Globalisierung zunehmenden Abhängigkeiten in unserer Welt ist das nach wie vor aktuell: Vertrauen in Politik, in Institutionen, in Mitmenschen, in Strukturen und Gesetzmäßigkeiten sind umso notwendiger, je weniger wir die komplexen Prozesse durchschauen.

Vertrauen ist fundamental für Politik und Gesellschaft. Während eine Tyrannenherrschaft – so die Politische Theorie von Aristoteles bis zu Niccolò Machiavelli – von der Furcht und dem Misstrauen seitens der Staatsbürger lebt, kommt eine Demokratie erst durch das Vertrauen der Bürger untereinander und in das politische System zustande. In der politischen Praxis kommt die Vertrauenshierarchie in Konzepten wie der "Vertrauensfrage" zum Ausdruck. Detailliert beleuchtet hat die Politische Theorie Bedeutung und Grenzen des so genannten "Institutionenvertrauens".

Ebenso elementar aber ist Vertrauen auch für die Entwicklung des personalen Selbst: Als Bestandteil der Tapferkeit bezeichnete bereits der römische Gelehrte und Regent Cicero das Selbstvertrauen des Menschen. Zu innerer Gelassenheit führte es in der Ethik der Stoiker und der Epikureer. Als Folge des Vertrauens auf Gott nennt Thomas von Aquin die menschliche Kraft des auf die Zukunft gerichteten Glaubens und Hoffens. Und schließlich zum Selbstbewusstsein eigener Fähigkeiten, zur Selbstachtung – hergestellt durch zwischenmenschliche Anerkennung – führt das Vertrauen bei den sonst nicht immer einmütigen Philosophen Thomas Hobbes, Immanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Hegel.

Zum Vertrauen gehören Erschütterungen. Fester Bestandteil jedes Sprach- und Literaturstudiums stellt zu Recht die intensive Behandlung eines kleinen Werkes von Hugo von Hofmannsthal dar. Der "Lord Chandos-Brief" darf als poetologisches Manifest des Dichters gelten. In ihm wird von einem vom Umschlag des Sprachvertrauens in tiefes Misstrauen berichtet, das zum Verstummen führt. Es gelingt dem Erzähler nicht mehr, Empfindung und Sprache in Einklang zu bringen. Die Untauglichkeit der Wörter zur Beschreibung der Welt steht ihm vor Augen. Dieser profunden Sprachkritik hatte bereits Friedrich Nietzsche vorgearbeitet, die Postmoderne wird später anschließen: Die metaphorische und zwangsläufig missverständliche Qualität von Sprache ist seither akzeptiert.

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist das ethische Prinzip "Vertrauen" stets ein vermitteltes: Es muss in Verbindung mit den moralischen Prinzipen Anerkennung und Achtung gedacht werden. Den Anderen zu achten bedeutet, ihn in seinen Bedürfnissen, seinen Rechten und Fähigkeiten anzuerkennen – entwicklungspsychologisch erstmals anzutreffen im "Ur-Vertrauen" des Kindes zur Mutter.

Skepsis aber ist nicht ungefährlich behauptet der Philosoph Holmer Steinfath. Nicht nur jede private Handlung wird durch Misstrauen verhindert, auch jede ökonomische Weiterentwicklung und der Glaube an die Politik werden gefährdet, Stichwort: Politikverdrossenheit. Wie der Princeton-Gelehrte Harry Frankfurt unlängst konstatierte, zieht die Politik tatsächlich wachsendes Misstrauen auf sich. Warum? Weil das Vertrauen in die Wahrhaftigkeit der Politiker zunehmend verletzt werde. Lüge und Täuschung, wohin der Staatsbürger blicke, lautet die Diagnose Frankfurts. Lässt sich offenbar nur darauf vertrauen, dass es wieder besser wird.


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