Wissenschaftsjahr 2007 - Würde

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Würde

Von welch zentraler Bedeutung der Begriff "Würde" ist, zeigt ein Blick ins deutsche Grundgesetz, wo es im ersten Artikel heißt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Geprägt wurde die Vorstellung vom sittlichen Wert einer spezifischen Menschenwürde in der europäischen Geschichte von der christlichen Tradition; fest verwurzelt ist sie im Gedankengut der Aufklärung. So versteht der deutsche Philosoph Immanuel Kant die eine und gleiche Würde als unverlierbare Auszeichnung des Menschen. In seiner Würde sei der Mensch "Zweck an sich selbst"; sie habe einen absoluten Wert, der gegen nichts aufgerechnet werden könne.

Die christliche Tradition verband die Idee von einer "dignitas naturae" (Cicero), einer Würde, die der Mensch qua Menschsein besitzt, mit der Vorstellung vom Menschen als Ebenbild Gottes. Die katholische Lehre knüpft sie vor allem an die menschliche Vernunft und den freien Willen, wohingegen Martin Luther mit der Betonung des Gleichheitsgedankens einen anderen Schwerpunkt im Würde-Begriff setzt. Die säkulare Rechtskultur hingegen begründet die Würde des Menschen auf ethisch-philosophische Weise: Aufgrund seiner Würde sei der Mensch als Person "Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft"; daher stünden ihm auch die Menschenrechte zu.

Über die Fragen, wem diese Würde ab wann und bis wann zukommt oder wie der zitierte Artikel I (1) des Grundgesetzes zu interpretieren sei, wird bis heute debattiert. Einen aktuellen Einschnitt in dieser Debatte signalisiert die Änderung der über 45 Jahre unberührten Kommentierung des Artikel I (1). 1958 wurde in dem Kommentar der Begriff der Würde – nach den schrecklichen Erfahrungen der Jahre 1933 bis 1945 – als Übernahme eines grundlegenden, in der europäischen Geistesgeschichte hervorgetretenen "sittlichen Wertes" aufgenommen. In der Neukommentierung von 2003 hingegen wird der Begriff der Menschenwürde von ihrem vor-positiven geistig-ethischen Gehalt gelöst: Für die staatsrechtliche Betrachtung sind allein die unantastbare Verankerung im Verfassungstext und die Exegese der Menschenwürde als Begriff des positiven Rechts maßgebend – laut Kritikern könne sich damit ein Spielraum für Interpretationen öffnen.

Spezifische Fragen zur Menschenwürde stellten sich auch in jüngster Zeit, stets mit der Fragerichtung, ob die Menschenwürde als Fundament der Verfassung einer Abwägung unterworfen werden dürfe oder nicht. Diese intensiv in den Disziplinen Philosophie und Theologie – wenn auch nicht nur dort – geführten Debatten entstanden im Zusammenhang mit der Sterbebegleitung, mit der Behandlung von Kriegsgefangenen und mit den raschen Fortschritten der Gen- und Reproduktionstechniken. So ist etwa zu fragen, ob das Prinzip Menschenwürde auch auf Embryonen in einem frühen Entwicklungsstadium anzuwenden sei und ob diese den Schutz einer unverletzbaren Menschenwürde genießen.

Eine weitere aktuelle Debatte behandelt die Frage, ob auch Tiere eine Würde haben. Die Befürworter sprechen von einer "Eigenwürde der Natur", die der "Willkür unserer Macht" entgegenstehe. Mit dem Begriff der "Würde der Kreatur" ist seit 1992 in der schweizerischen Verfassung neben der Menschenwürde ein Begriff justiziabel formuliert worden, mit dem der Würdebegriff auf die organische Natur ausgeweitet worden ist. 


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