Wissenschaftsjahr 2007 - Xenophobie

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Xenophobie

Die Ausweitung der Kommunikation durch elektronische Medien – Telefon, Rundfunk, Internet – hat die Welt zu einem globalen Dorf schrumpfen lassen, wie der Medientheoretiker Marshall McLuhan bereits 1962 diagnostizierte. Im selben Maße aber, wie das Fremde näher rückte, nahmen die Abwehrhaltungen zu.

Bereits in der Antike sind Vorurteile gegen die "Barbaren" geläufig, Fremde ohne Bürgerrechte eine Realität. Zugleich aber wurde Fremden besondere Achtung entgegengebracht. Im griechischen Wort "xénos" kommen nicht zufällig der Fremde und der Gastfreund zusammen. Das lateinische "hostis" bezeichnet zwar gleichermaßen den Fremden wie den Feind, aber das Gastrecht war auch hier äußerst wichtig. Ebenso im christlichen Mittelalter.

Der Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt hat mit guten Argumenten vermutet, dass die "Erfindung des Fremden" (als Negativbild der Zivilisation) mit der Kolonisierung zusammenfällt. Bis ins frühe 20. Jahrhundert wurde diese paternalistische, also bevormundende Haltung in Europa freilich oft von einer Faszination für alles – vermeintlich "primitive" – Fremde begleitet.

Erst in der Moderne erfolgte der Umschlag in Furcht und offene Feindschaft. Der Fremde wird dabei als Bedrohung für die eigene Identität empfunden, ihm wird unterstellt, er drohe, ganze Kulturen zu überfremden. Mit dem Rassismus teilt die Xenophobie nicht nur viele Eigenschaften, sie geht ihm häufig voraus. So hatte der moderne, sich "wissenschaftlich" gebende Antisemitismus des 19. Jahrhunderts die Juden bereits zu Fremden schlechthin gemacht, wie es bei der Philosophin Hannah Arendt heißt. In der Folge verdichtete sich die Fremdenfeindlichkeit zur staatlichen Ideologie.

Als politische Gegenstrategie kann die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" gelten, welche die UNO im Jahre 1948 verkündete. Von der Mitte des 20. Jahrhunderts an geriet die Xenophobie allmählich auch in das Blickfeld der Geisteswissenschaften. Um die theoretische wie empirische Aufdeckung ihrer Gründe bemühen sich heute unter anderem die Soziologie, Anthropologie, Psychologie, Ethnologie, Pädagogik, Geschichte und Philosophie.

Es überwiegt die Auffassung, die Xenophobie beruhe auf einem sozial hergestellten und somit beeinflussbaren Mechanismus. Gleichwohl hält sich beharrlich die zumindest umstrittene soziobiologische These, Fremdenfeindlichkeit gehöre zu den menschlichen Anlagen, weil schon Kleinkinder fremdelten und auch Tiere sich gegen Eindringlinge verbündeten. In eine ähnliche Richtung tendiert die Theorie eines archaischen Sündenbockmechanismus, der die Gruppenstabilisation gewährleistet. Diese Theorie stammt von  dem Kulturanthropologen René Girard.

In der jüngeren Zeit dominieren interkulturelle Ansätze, die Differenzen zwischen den Kulturen bestehen lassen. Zugrunde liegt eine phänomenologische Annäherung an das Andere, wie sie die Philosophen Emmanuel Lévinas und Bernhard Waldenfels entwickelt haben: Das Andere ist absolut anders, nicht nur Alter Ego. Ihm sei daher zwar nicht furchtsam, aber ehrfürchtig zu begegnen: Akzeptierte Fremdheit als gegenseitige Anregung.

Zur "Figur des Dritten" wird der Fremde bei dem Wissenschaftsphilosophen Michel Serres, der ihn vor dem Hintergrund der Informationstheorie betrachtet. Der Fremde sei wie das Rauschen zugleich Störung, aber auch Ermöglichung aller Kommunikation. Während andernorts ein von Fremdenabwehr getragener Widerstreit wie der "Kampf der Kulturen" als Kennzeichen des 21. Jahrhunderts vorhergesagt wird, kommt hier der Begegnung mit dem Fremden eine geradezu kulturstiftende Bedeutung zu. Dahinter steht auch die Hoffnung, dass gerade die weltumspannenden elektronischen Medien die Xenophobie überwinden helfen, weil sie auf das Fremde angewiesen sind. Modelltheoretisch ausgedrückt: Kein Empfänger wird vom Sender nur das erfahren, was er schon kennt. Weil man hier tagtäglich mit dem Fremden nicht nur konfrontiert ist, sondern es als konstitutiv für die elektronisch ausgeweitete Kommunikation erfährt, integriert man es – als Fremdes – in die eigene Perzeption. Das Medium ist die Botschaft, heißt es seit McLuhan: Das Medium aber ist für den Empfänger beides zugleich, fremd und mit seinem Innersten verschaltet.


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