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„Ich weiß das Leben jetzt mehr zu schätzen“

Im Gespräch mit David Sieveking, Regisseur des Films "Vergiss mein nicht"

Der Regisseur David Sieveking umarmt seine Mutter von hinten. Im Hintergrund öffnet der Vater die Terassentür des Hauses.

Wie schwer ist es, einen Film über Demenz zu drehen, wenn man nicht nur Regisseur ist, sondern auch noch als betroffener Angehöriger vor der Kamera steht? Im Interview spricht David Sieveking über seinen Film "Vergiss mein nicht", über die öffentliche Wahrnehmung der Krankheit und erklärt, was wir von Menschen mit Demenz noch lernen können.

Wie sind Sie darauf gekommen, einen Film über Ihre demenzkranke Mutter Gretel zu drehen?

Ich wollte vor allem noch so viel Zeit wie möglich mit meiner Mutter verbringen. Ungefähr ein Jahr nach der Demenzdiagnose war klar, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt. Zudem wurde deutlich, dass mein Vater der Situation zuhause alleine nicht mehr gewachsen war. Meine beiden Schwestern hatten neben Arbeit und Kindern wenig Zeit, sich zu kümmern, ich selbst ließ mich auch ohne eigenen Nachwuchs kaum blicken. Daher habe ich überlegt, wie ich eine längere Zeit zuhause verbringen und gleichzeitig weiter für meinen Lebensunterhalt sorgen könnte. Da ich schon öfter autobiografisch gearbeitet hatte, waren meine Eltern daran gewohnt, dass ich auch zuhause filme. Ich habe dann überlegt, ob sich mein Beruf mit meinem privaten Wunsch kombinieren lässt. Dabei war die selbst gestellte Bedingung, dass der Film meinen Eltern hilft und meine Mutter davon profitiert.

Was waren die größten Schwierigkeiten, was waren die größten Erfolge beim Dreh?

Ein Problem bestand darin, dass meine Mutter zunächst wenig auf meine Versuche ansprach, sie wieder zu mobilisieren. Es ist eine große Verantwortung, dafür zu sorgen, dass ein Mensch sich wäscht, aktiv bewegt und regelmäßig isst. Da ich zudem noch einen Film darüber drehen wollte, fühlte ich mich eine Zeit lang dieser Doppel-Belastung nicht mehr gewachsen. Der Wendepunkt war eine gemeinsame Reise nach Stuttgart, der Heimatstadt von Gretel. Der Vorschlag dazu ging von meiner Mutter aus und stellte einen Ausbruch aus dem Alltagstrott dar. Die Reise setzte bei Gretel noch einmal eine Reihe von Erinnerungen frei, besonders an ihre Kindheit. In einem späteren Kurz-Urlaub in der Schweiz wirkten die Berge sehr stimmungsaufhellend, so dass sie auf einmal so viel sprach wie lange nicht.

Wie haben Sie es geschafft, dass Ihre Mutter wieder aktiver am Leben teilnimmt?

Es hat sich gezeigt, dass körperliche Bewegung auch den Geist anregt. Einfach mal eine Kaffeetasse einzuräumen oder beim Abwasch zu helfen, das war gesunde Physiotherapie - ich habe versucht, Gretel wieder in kleine Haushaltsarbeiten einzubeziehen, um sie zu mobilisieren. Das hat sehr viel freigesetzt und ihr das Gefühl gegeben, dass sie selbst noch einiges machen kann. Angehörige schießen oft über das Ziel hinaus und wollen dem Demenzkranken in ihrer Hilfsbereitschaft alles abnehmen. Zu viel Unterstützung kann jedoch das genaue Gegenteil bewirken: die Betroffenen werden noch unselbständiger und bauen noch schneller ab. Ich selbst habe gemerkt, dass meine Mutter bis zuletzt sehr sensibel geblieben ist, Gefühle genau wahrnehmen konnte - auch wenn sie es nicht immer gezeigt hat.

Wollen Sie mit Ihrem Film anderen Menschen helfen, die ähnliche Erfahrungen mit ihren Angehörigen gemacht haben?

Ich habe gemerkt, dass mein Film in der Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema Demenz vielen Menschen gut tut. Ich bekomme enorm viel Zuspruch und positive Rückmeldungen. Die Menschen schreiben mir, dass sie durch den Film neuen Mut geschöpft haben, sich einer Demenz zu stellen und er ihnen geholfen hat, mit ihrer Situation besser umgehen zu können. Viele haben durch den Film erkannt, dass in einer Krise auch gute Aspekte gesehen werden können. Natürlich bedeutet eine Demenzdiagnose eine große Belastung. Aber es besteht eben auch die Chance, zwischenmenschlich noch schöne und gute Erfahrungen zu machen.

Wie schwierig war die Doppelrolle als betroffener Sohn und Filmemacher?

Es gab Momente, in denen ich mich als Sohn extrem überfordert gefühlt habe, besonders in der schwierigen Anfangsphase des Films. Zudem war es nicht leicht, hautnah mitzuerleben, wie stark und unaufhaltsam meine Mutter abbaut. Zu Beginn des Films bin ich als helfender Sohn stark vor der Kamera involviert. Als sich die Situation verbessert und mein Vater neuen Mut schöpft, bin ich dann nicht mehr so präsent. Eine bittere Erfahrung war, dass ich als Sohn mit der Zeit keine große Rolle mehr spielte. Andererseits konnte ich mich aber so auch wieder mehr auf meinen Part als Filmemacher konzentrieren.

 

Zum zweiten Teil des Interviews