Die Auswirkungen von Lärm auf Kinder

Interview mit Prof. Dr. Maria Klatte, Technische Universität Kaiserslautern

54 Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger fühlen sich laut einer Umfrage des Umweltbundesamtes von Verkehrslärm betroffen. Doch wie genau wirkt sich Flug-, Straßen- und Schienenlärm auf den Menschen aus? Dies untersuchen Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachgebieten im Rahmen der Lärmstudie NORAH (Noise-Related Annoyance, Cognition and Health). Dazu berechnen sie die Belastung durch Flug-, Schienen- und Straßenlärm in einem großen Gebiet um den Frankfurter Flughafen. Diese Werte vergleichen die Forscher mit Daten über Gesundheit, Lebensqualität und Entwicklung von über einer Million Bewohnerinnen und Bewohnern der Region. Die Ergebnisse sollen bis Ende 2015 vorliegen. Auftraggeber ist das Land Hessen. Bereits abgeschlossen ist die Kinderstudie, eine von fünf Teilstudien. Projektleiterin ist die Psychologin Prof. Dr. Maria Klatte von der Technischen Universität Kaiserslautern.

Maria Klatte
Prof. Dr. Maria Klatte

Frau Professorin Klatte, was genau wurde in der Kinderstudie untersucht und wie lauten die wesentlichen Ergebnisse?

Es wurden die Auswirkungen von Fluglärm auf die geistige Entwicklung und die Lebensqualität bei Grundschulkindern im Umfeld des Frankfurter Flughafens untersucht. An der Studie haben über 1.200 Zweitklässler aus 29 Schulen teilgenommen. Es zeigten sich statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen der Fluglärmbelastung und schlechteren Leseleistungen: Bei Zunahme des Fluglärms um 10 dB verzögert sich das Lesenlernen statistisch um etwa einen Monat. Da die Fluglärmbelastung der Kinder im NORAH- Untersuchungsgebiet zwischen 40 und 60 dB liegt, ist bei den am stärksten belasteten Kindern im Vergleich zu den am wenigsten belasteten mit einer Leseverzögerung um etwa zwei Monate zu rechnen. Die gesundheitliche Lebensqualität der Kinder wurde von den Kindern selbst und von ihren Eltern insgesamt als hoch beurteilt. Allerdings fielen die Beurteilungen in vergleichsweise hoch mit Fluglärm belasteten Wohngebieten etwas schlechter aus als in ruhigeren Regionen. Diese Effekte sind zwar klein, aber statistisch signifikant.

Weitere wichtige Befunde ergaben sich aus der Befragung der Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer. Mit dieser Befragung wollten wir herausfinden, ob bzw. in welcher Weise der Fluglärm auf den alltäglichen Schulunterricht einwirkt. Die Lehrkräfte aus den vergleichsweise hoch belasteten Schulen berichteten übereinstimmend, dass der Fluglärm den Unterricht erheblich stört.

Wie unterscheidet sich die Studie von früheren zum Thema Lärmwirkung?

Seit Beginn der 1990er Jahre wurde schon eine ganze Reihe von Studien zur Wirkung von Fluglärm auf Kinder durchgeführt, zum Beispiel an den Großflughäfen New York und London-Heathrow. In den meisten zeigten sich schlechtere Leseleistungen bei stark fluglärmbelasteten Kindern. Man kann diese Ergebnisse aber nicht einfach auf das Rhein-Main-Gebiet übertragen. Zum einen waren die Kinder in diesen früheren Studien viel stärker durch Fluglärm belastet als die Kinder im Rhein-Main-Gebiet. Zum anderen lernen die Kinder hier das Lesen in Deutsch und nicht in Englisch. Aus der Leseforschung weiß man, dass die Art und Weise des Lesenlernens auch von der jeweiligen Sprache abhängt. Außerdem gibt es methodische Unterschiede. In den älteren Studien wurden andere Einflussfaktoren auf das Lesenlernen wie familiäres Umfeld, Sprachkenntnisse der Kinder und Unterrichtsfaktoren oft nicht genau genug kontrolliert. Die Bildungsstudien zeigen aber, wie stark der Einfluss dieser Faktoren auf den Lernerfolg der Kinder ist, ganz besonders im Lesen. In der NORAH-Studie wurden all diese Faktoren berücksichtigt und „herausgerechnet“, um den Einfluss des Fluglärms möglichst genau bestimmen zu können. Zudem wurden auch die Fluglärmpegel genauer berechnet. Für jedes einzelne Kind wurde die durchschnittliche Lärmbelastung an der Schule und an der Wohnadresse für den Zeitraum von zwölf Monaten vor der Untersuchung berechnet, und zwar für verschiedene Zeiten wie Schulvormittag (montags bis freitags, 8 bis 14 Uhr) und „Kindernacht“ (20 bis 6 Uhr). Das wurde in keiner früheren Studie gemacht.

Muss die Lärmbelastung in Schulen in der Nähe von Flughäfen und lauten Straßen verringert werden?

Als Wissenschaftler ist es zunächst unsere Aufgabe, die Wirkungen zu messen und zu dokumentieren. Das haben wir getan. Die Studie zeigt eindeutig, dass sich der Fluglärm negativ auf das Lesenlernen und das Wohlbefinden der Kinder auswirkt. Die Zusammenhänge sind linear, d. h. je stärker die Belastung, desto stärker sind die zu erwartenden Beeinträchtigungen. Nimmt die Fluglärmbelastung also in den nächsten Jahren noch zu, wird eine noch stärkere Verzögerung des Lesenlernens die Folge sein. Außerdem hat die Studie gezeigt, dass der Unterricht in fluglärmbelasteten Grundschulen erheblich beeinträchtigt wird. Natürlich werden diese Befunde nun von den verschiedenen Interessengruppen ganz unterschiedlich bewertet. Es ist Sache der politischen Gremien zu entscheiden, ob bzw. inwieweit man bereit ist, diese Folgen in Kauf zu nehmen, und welche Gegenmaßnahmen im Bereich des aktiven und passiven Schallschutzes und der Kompensation – z. B. durch mehr pädagogisches Personal in den Schulen – zu ergreifen sind.

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