Wenn der Kopf raucht

Dr. Gerhart Tiesler ist Wissenschaftler am Institut für interdisziplinäre Schulforschung der Universität Bremen. Er erklärt, welche Folgen eine zu hohe Lautstärke im Klassenzimmer hat, und wie eine akustische Neugestaltung von Klassenräumen den Lärm- und Stresspegel senken kann.

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Im folgenden das Interview im Wortlaut:

Dr. Gerhart Tiesler

Was bewirkt eine zu hohe Lautstärke im Klassenzimmer?

Man muss sich das so vorstellen wie in einer Kneipe: Man möchte sich gerne unterhalten mit einem Gegenüber, die Nachbarn am Nachbartisch reden aber auch. Das heißt, man muss ein bisschen lauter reden als die Nachbarn – und so schaukelt sich dann der Geräuschpegel immer weiter hoch. Genau das Gleiche haben wir natürlich auch in einem Klassenraum, insbesondere in Situationen, wo es um Gruppenarbeit geht. Und das führt dazu, dass es zu einer Stress-Reaktion kommt, das heißt, nicht nur bei den Lehrern, auch bei den Schülern. Und Stress bedeutet immer Unaufmerksamkeit, Ablenkung und vieles mehr.

Sie haben für ein Experiment Klassenzimmer akustisch saniert. Welche Maßnahmen wurden dafür durchgeführt?

Wir haben in einem Klassenraum die Decke vollflächig mit schallabsorbierenden Material bedeckt und haben zusätzlich an der Rückwand einen Rückwand-Absorber angebaut, ähnlich einer Pinnwand, um Echos, die von der Rückwand sonst entstehen würden, zu vermeiden. Wir haben so die Raumakustik im Klassenraum deutlich verändert und die Effekte, die wir gemessen haben, sind riesig.

Welche Ergebnisse haben Sie durch die Sanierung erzielt?

Wir haben Unterschiede festgestellt, in erster Linie natürlich bei dem Arbeitsgeräusch-Pegel und dem Grundgeräusch-Pegel. Die Schüler konnten leiser sein, es war viel einfacher, zuzuhören. Ferner haben wir beobachten können, dass das Sozialverhalten deutlich verändert wird, es finden viel weniger Störungen vonseiten der Schüler statt und bei der Lehrerin, haben wir festgestellt, dass die Stressreaktion deutlich geringer ausfällt. Wir haben zusätzlich festgestellt, dass der Pegelanstieg des Arbeitsgeräusch-Pegels über den Schulvormittag plötzlich wegfällt. Das heißt: Während wir vorher einen Anstieg von 11 dB hatten, haben wir nachher von der ersten bis zur fünften Stunde keinen Pegelanstieg mehr gehabt. 

Wie hoch sind die Kosten für einen solchen Umbau?

Die Kosten für solch einen Umbau sind schwer zu beziffern. Man kann davon ausgehen, dass sie in der Größenordnung zwischen 2.500 und 3.000 Euro liegen – je nach Ausführung der Decke. Bei einer kompletten Sanierungsmaßnahme einer Schule, wo sowieso alles saniert werden muss, entstehen praktisch keine Mehrkosten gegenüber den von den Architekten bevorzugten Gipskartondecken oder irgendwelchen anderen, optisch vielleicht etwas ansprechenderen Lösungen.

Wo halten Sie den Umbau für besonders notwendig?

Also, die wichtigsten Bereiche kann man ganz einfach nennen, das sind der Kindergarten und die Grundschule, denn das sind die Altersgruppen, die das Hören und Sprechen erst noch lernen müssen. Man kann davon ausgehen, dass erst ein 12- bis 14-jähriges Kind richtig verstehen kann, das haben eine ganze Reihe von Laboruntersuchungen von anderen Kolleginnen und Kollegen gezeigt. Selbstverständlich braucht man eigentlich eine gute Akustik in allen Räumen, wo derartige kognitive Leistung verlangt wird - in jedem Seminarraum, in jedem Hörsaal an der Uni. Nur leider wird das immer wieder vergessen mit dem Hinweis darauf, dass es zu teuer sei. In Wirklichkeit ist es natürlich nicht teurer, wenn man es von Anfang an berücksichtigt.

Vielen Dank!

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