Geräuschkulissen der Vergangenheit

Dr. Daniel Morat ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften an der FU Berlin. Er beschäftigt sich mit der Vergangenheit der Stadtklänge und erklärt, warum sich ihr Klang im Laufe der Jahrhunderte verändert hat und wie er sich in den nächsten Jahrzehnten entwickeln könnte.

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Im folgenden das Interview im Wortlaut:

Dr. Daniek Morat

Sie beschäftigen sich mit der Vergangenheit der Stadtklänge am Beispiel „Berlin vor 100 Jahren“. Wie hat es denn damals geklungen?

Berlin vor 100 Jahren muss man sich zunächst mal lauter vorstellen als heute und vielstimmiger. Es gab schon die ersten Automobile, der Straßenverkehr wurde aber immer noch von Pferdekutschen dominiert. Auf den Straßen wurde noch mehr Handel getrieben, man hatte mehr Live-Musik auf den Straßen als heute. Heute hat man ja vor allen Dingen Lautsprechermusik in Cafés und Geschäften. Die gab es damals noch nicht, aber dafür gab es eben sehr viel mehr Livebands, sowohl in Cafés, zum Teil auch in Kaufhäusern. Und es gab Leierkastenmänner, die in Hinterhöfen gespielt haben und all das führte dazu, dass man sich die Klangkulisse Berlins um 1900 eigentlich vielstimmiger und lauter vorstellen muss.

Welche Ereignisse haben dazu beigetragen, dass sich der Stadtklang im Laufe der Jahrhunderte verändert hat?

Also der wichtigste Faktor bei der Frage, wie laut eine Stadt oder eine Wohngegend ist, ist eigentlich die Frage der Bevölkerungsdichte. Und je mehr Menschen auf einem Fleck leben, desto lauter und vielstimmiger wird es dort auch. Und das heißt, der Prozess der Verstädterung, der in Deutschland vor allen Dingen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Fahrt aufgenommen hat und dann zu den ersten Millionenstädten um 1900 geführt hat, ist eigentlich der wichtigste Faktor bei der Frage nach der Veränderung der Klanglandschaft. Und der zweite große Prozess ist die Industrialisierung, da ist vor allen Dingen an den Verbrennungsmotor zu denken, der natürlich dann in Form des Automobils den Stadtklang beeinflusst hat, aber auch an die Elektrifizierung, die dann vor allen Dingen die Medialisierung ermöglicht hat, also die Aufzeichnung von Klängen und deren Wiedergabe dann durch Lautsprecher ab den 1920er-Jahren.

Inwieweit wurde das Denken und Handeln der Menschen durch diese Veränderungen beeinflusst?

Der Prozess der Verstädterung ist eigentlich von Anfang an auch immer begleitet gewesen mit einer Diskussion darüber, wie lebenswert Städte sind oder wie schädlich. Das hatte zum einen viel mit den hygienischen Bedingungen zu tun. Aber es hatte eben auch mit diesem Lärm zu tun und die Wahrnehmung, dass Lärm krank macht, führte dann auch dazu, dass 1908 der erste Anti-Lärm-Verein gegründet wurde, der also ein Recht auf Stille eingefordert hat. Und auf die Forderung nach dem Recht auf Stille, gab es dann durchaus auch die Forderung nach einem Recht auf Geräusche. Das heißt, es gab auch Stimmen, die das gerade toll fanden, dass die Stadt so laut und so vielstimmig ist. Und der vielleicht extremste künstlerische Ausdruck davon, waren dann die Futuristen, die in Italien vor dem Ersten Weltkrieg die „Kunst der Geräusche“ ausgerufen haben.

Können Sie eine Prognose wagen: Wie werden Städte in 50 Jahren klingen - wie in 500?

Also 500, das finde ich sehr gewagt, aber 50 Jahre, da kann man ja schon von den heutigen Entwicklungen irgendwie in die Zukunft projizieren. Also, der erste Faktor, der mir einfällt, ist, dass ich davon ausgehen würde, dass wir in fünfzig Jahren keine Verbrennungsmotoren mehr haben oder jedenfalls nicht mehr so viele. Das heißt, wir eine Elektrifizierung des Straßenverkehrs haben, die natürlich dazu führt, dass es ruhiger ist. Und der zweite Faktor, den ich vorhin schon genannt habe, ist ja die Dichte. Und da ist es, glaube ich, einfach sehr unterschiedlich. Also in Deutschland, mit unserem demographischen Wandel, haben wir vielleicht eher Prozesse der Endverdichtung, also dass wir dann eigentlich auch in den Städten nicht unbedingt mehr Leute haben. In den Mega-Cities in anderen Gegenden der Welt sieht es natürlich ganz anders aus und das heißt, dort wird man diese Lernproblematik auch weiter haben.

Vielen Dank!

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