"Im Mittelalter übertönten die Glockenklänge andere Geräusche"

Der Architekturgeschichtsprofessor Christian Freigang spricht über die Unterschiede mittelalterlicher und moderner Geräuschkulissen

Prof. Dr. Christian Freigang erforscht die Architekturgeschichte des Mittelalters und des 19. und 20. Jahrhunderts. Er geht unter anderem der Fragestellung nach, wie Kirchtürme konstruiert wurden, damit die Glocken auf dem Kirchplatz schön klingen. Im Interview erklärt der stellvertretende geschäftsführende Direktor des Kunsthistorischen Instituts der FU Berlin auch, warum das seit 1856 vier Mal jährlich stattfindende Große Stadtgeläut in Frankfurt am Main heute seinen Lieblings-klangraum bildet.

Christian Freigang
Christian Freigang ©Bernd Wannenmacher

Wie haben Städte im Mittelalter geklungen?

Die mittelalterliche Stadt war sicherlich ziemlich laut: Profane Geräusche mischten sich mit sakralen Klängen: Pferdegetrappel, Handwerkslärm, Hundegebell, Ausrufer, Marktschreier, Streitende mischten sich mit Musikanten und der sogenannten Pfeiferei: Letztere, oft schlecht ausgebildete Musiker bliesen zu besonderen Anlässen von den Türmen. Das Ganze wurde rhythmisch begleitet von den Glockenklängen, die regelmäßig die Stunden angaben, zum Gebet aufforderten, vor Gefahr warnten und bei Begräbnissen läuteten. Und diese lauten, lange nachschwingenden Glockenklänge - gleichsam die Stimmen der Heiligen - übertönten wohl alle anderen Geräusche.

Wie unterscheiden sich die Städte als Klangräume heute und im Mittelalter?

Im Mittelalter galt sicher das Recht des "Lauteren", um Aufmerksamkeit zu erzeugen, seine Waren zu verkaufen, Ankündigungen zu machen usw., doch regelmäßig und sehr häufig schlugen die Glocken. Heute gibt es vor allem ein Grundrauschen durch den Verkehr bzw. sogenannter Gebrauchsmusik in Einkaufszentren und anderen halböffentlichen Einrichtungen. Plötzliche laute Signale dienen der Warnung: Hupen oder Martinshörner. Der Glockenklang wird teilweise als Lärmbelästigung empfunden und deswegen stark eingeschränkt. In vielen touristisch interessanten Orten - etwa im Alpenraum, wo der regelmäßige Glockenschlag eigentlich dazugehört - darf nur noch eingeschränkt geläutet werden.

Wie erforschen Sie die mittelalterliche Stadt als Klangraum? Lassen sich Geräuschkulissen von damals heute bereits auf dem Computer simulieren?

Ich erforsche vor allem, wie Klanginstrumente wie Glocken hörbar und sichtbar gemacht wurden: Wie sind die hohen Kirchtürme der Spätgotik konstruiert, um die schweren und schwingenden Glocken sicher zu halten? Was sind die Korrelationen zwischen Lautstärke der Glocken, Höhe der Glockentürme und dem Resonanzraum unten - in Form von Plätzen zum Beispiel. Und vor allem: Wie werden die Töne auch "sichtbar" gemacht, etwa in Form von besonders ausgezierten Schallarkaden, Skulpturen und Bildprogrammen, die den Glockenklang als göttliche Botschaft erscheinen lassen? Eine Simulation müsste gut möglich sein und sie wird für jüngere Epochen etwa durch englische Kolleginnen und Kollegen schon vorgenommen, die etwa den Klangraum von London um 1900 konstruieren: quietschende Trambahnschienen, Wagengerumpel usw.

Welche Städte interessieren Sie besonders?

Das hängt davon ab, ob es erhaltene oder rekonstruierbare Geläute, Kirchtürme und mittelalterliche Stadtanlagen gibt. Das trifft nicht immer zusammen. Doch besonders interessant sind hier Paris (Notre-Dame), Frankfurt am Main, Freiburg, Köln. Interessanterweise ist der Glockenklang vor 1200 (so etwa auch an den großen romanischen Kirchen wie in Speyer) nicht so dominant gewesen wie seit dem 13. Jahrhundert.

Welche Stadt hat heute den schönsten Klangraum?

Einen der gewaltigsten Klangräume bildet das sogenannte Große Stadtgeläut in Frankfurt, wenn an bestimmten Tagen (Weihnachten, Ostern) alle Glocken der Stadt einen wahren Klangteppich ausbreiten, der kilometerweit zu hören ist und der von der zwölf Tonnen schweren und tief klingenden Gloriosa-Glocke des Doms skandiert wird. Ihr langsamer Rhythmus in Intervallen von mehreren Sekunden kann einem durch Mark und Bein fahren.

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