Alles eine Frage der Wahrnehmung

Brigitte Schulte-Fortkamp ist Professorin für Psychoakustik und Lärmwirkung am Institut für Technische Akustik der TU Berlin. Sie erklärt, wann ein Geräusch zu Lärm wird, warum Städter Lärm anders als Menschen aus ländlichen Regionen empfinden und wie der Klang einer Stadt von seinen Einwohnern mitgestaltet werden kann.

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Im folgenden das Interview im Wortlaut:

Brigitte Schulte-Fortkamp
Prof. Dr. Brigitte Schulte-Fortkamp

Ab wann ist Lärm denn überhaupt Lärm?

Also der Begriff Lärm wird ja häufig falsch verstanden. Man glaubt, man kann Geräusche in Lärmpegeln messen und von daher sagen: Ab einer bestimmten Pegelgröße wird ein Geräusch zu Lärm. Das ist aber nicht so. In der Regel wird ein Geräusch dann zu Lärm, wenn es stört, eventuell durch Nachbarschaftsgeräusche oder ähnliches mehr. Also er kann sozusagen hervorgerufen werden durch städtische Ereignisse, also das, was wir ja normalerweise jetzt als so akustische Urbanität bezeichnen – und auf der anderen Seite kann es eben auch sein, dass auch im kleineren Umfeld, also im Wohnumfeld, dass dort Lärmsituationen entstehen, dadurch dass eben unerwünschte Geräusche in selbst konstruierte Situationen eindringen.

Haben Städter ein anderes Lautstärke-Empfinden als Menschen aus ländlichen Regionen?

Ja, Menschen auf dem Land sind ja sozusagen von Geräuschen umgeben, die in der Regel in der Stadt nicht vorkommen. Also das sind Naturgeräusche, die überwiegend sind. Menschen in der Stadt sind von einem Fluss von Geräuschen umgeben, eigentlich von einem Konzert von Geräuschen. Autos fahren vorbei, große kleine Autos, oder wir hören hupen, quietschen – alles Mögliche. Die Frage ist: Wann ist das Geräusch oder das Geräusch-Konzert, was entstanden ist, wirklich störend und wann nicht? Und für den Städter ist es eben grundsätzlich anders als für den Menschen auf dem Land.

Welche Folgen kann diese unterschiedliche Wahrnehmung haben?

Also es kann schon dazu führen, dass wenn ich Geräusche unterschiedlich wahrnehme, dass ich mich auch anders verhalte. Es kann sein, wenn eine gewisse Resistenz entwickelt worden ist bezogen auf Geräusche, dass man sich selber unter Umständen als weniger lärmempfindlich klassifiziert. Und von daher eigentlich eher schutzbedürftiger ist, weil man sich selber nicht mehr schützt vor solchen Schalleindrücken – und vor solchen Quellen, die sozusagen zu Unbehagen führen können. Oder letztlich, wie wir wissen, kann ja auch eine zu starke Schallbelastung – insbesondere in der Nacht - auch zu Gesundheitsschädigungen führen.

Kann ich denn bei störenden Geräuschen einfach meine Einstellung ändern?

Es gibt ja Leute, die entwickeln sukzessive Lärmempfindlichkeiten, weil sie jede Art von Geräusch als gegen sich gerichtet empfinden – das ist natürlich ganz fatal. Geräusche, die in der Stadt entstehen, zum Beispiel, haben ja viel mit Kultur zu tun, haben viel mit städtischem Leben zu tun - und haben auch was damit zu tun, Umgebungen gegebenenfalls auch neu zu gestalten. Also dass man sich nicht nur als jemand empfindet in einer Geräuschsituation, der ständig einer Pression unterliegt, sondern dass man sich auch so darstellen kann, dass man eine Geräuschsituation bewältigen kann, sie zum Teil eben auch mitgestalten kann.

Welche Möglichkeiten habe ich als Einzelner, den Stadtklang mitzugestalten?

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten den Stadtklang mitzugestalten, zum Beispiel bezogen auf die Situation Straßenverkehr, Straßenverkehrsdichte. Man kann sich entscheiden, sein eigenes Fahrzeug stehenzulassen und den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Das würde unter Umständen, wenn es viele machen würden, das Klangbild von bestimmten Bereichen in der Stadt sicher stark verändern. Es würden weniger störende Verkehrsgeräusche auftreten. Eigentlich muss man mehr kommunizieren über die Akustik in der Stadt und über die sagen wir mal über die neue Urbanität. Das finde ich sehr wichtig.

Vielen Dank!

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