Den Strom „fließen hören“

Christina Kubisch ist Stadtklangkünstlerin aus Hoppegarten bei Berlin. Sie berichtet von Stadtklängen der besonderen Art: Elektromagnetische Klängen, die Menschen in der U-Bahn oder beim Einkaufen umgeben und gemeinsam mit ihr hören können.

Gerne können Sie das Interview redaktionell verwenden. Bitte kontaktieren Sie bei Interesse presse(at)wissenschaftsjahr-zukunftsstadt.de.

Im folgenden das Interview im Wortlaut:

Christina Kubisch

Was kann ich mir unter einem „Electrical Walk“ vorstellen?

Der „Electrical Walk“ ist ein Stadtspaziergang, der nicht mit den Ohren passiert, sondern mit speziellen Kopfhörern, die kabellos sind und die etwas übertragen, was man normalerweise nicht hören kann – nämlich elektromagnetische Felder. Also, man setzt sich diesen Kopfhörer auf, geht los und man hört plötzlich etwas, was man nicht erwartet. Die Palette der Klänge ist vollkommen unterschiedlich, je nachdem, wo man ist und wie man sich bewegt - und darum nimmt man auch anders wahr. Man sieht seine Umwelt anders beim anderen Hören.

Wie unterscheidet sich zum Beispiel der Klang einer Leuchtreklame von dem einer Stromleitung?

Stromleitungen klingen meist relativ langweilig, monoton und Leuchtreklamen sind so ein bisschen ein Lieblingshörort von mir, weil sie sehr, sehr komplex sind. Ganz besonders spannend sind Kosmetikregale und dort klingt es manchmal wie in einem Science-Fiction-Film und manchmal auch sehr unheimlich. Also es hat sehr starke musikalische Qualitäten, die aber auch absurd wirken, weil man gleichzeitig halt diese ganzen Cremes und Lippenstifte direkt vor sich sieht.

Heißt das, dass wir immer und überall von Stromfeldern umgeben?

Also leider ist das inzwischen so. Vor 10, 15 Jahren waren es noch wesentlich weniger, aber bei meiner Arbeit – ich höre ja ständig diese Klänge, diese Felder - musste ich feststellen, dass es einfach immer mehr wird. Es gibt eigentlich auch kaum noch stille Orte, also Orte wo nichts ist, das ist sehr, sehr selten. Und das hängt nicht davon, ab ob der Ort an und für sich still sein müsste, also ein Friedhof oder ein Park. Dort kann es genauso laut und intensiv zugehen wie in der Innenstadt.

Inwieweit ist das möglicherweise gesundheitsschädlich?

Es gibt bisher sehr wenig Forschungen darüber und diese Forschungen werden auch nicht gerade gefördert. Ich selbst kann nur sagen, dass ich, wenn ich in starken elektromagnetischen Feldern mich länger aufhalte, zum Beispiel in einem Serverraum für einige Stunden oder am Security Gate stehe, dass ich mich danach sehr schlecht fühle und auch sehr merkwürdig. Insgesamt glaube ich schon, dass diese zunehmende Verdichtung von Feldern etwas mit uns und unserem Körper macht, weil wir eben auch nicht mehr entfliehen können. Wir sind wirklich überall davon umgeben.

Unterscheiden sich denn deutsche Städte voneinander?

Also die Städte unterscheiden sich je nach Größe vor allen Dingen. In kleinen Städten sind die verschiedenen Klänge sehr dicht beieinander und wechseln auch sehr stark. Also, ob ich jetzt von einem Shoppingcenter plötzlich zu einer Polizeistation komme oder dann eine Wohnstraße entlang gehe oder in eine Bank gehe, das ist sehr unterschiedlich vom Klang und macht auch sehr viel Spaß, das zu hören, diese unterschiedlichen Klänge. In großen Städten ist alles sehr viel weitläufiger, also da kann ich eine ganze Straße nur Security Gates hören und es ist vor allen Dingen auch sehr viel dichter noch, lauter.

Verändert sich der elektromagnetische Klang in den Städten mit den Jahren?

Also er hat sich verändert, indem viele analoge Klänge verschwunden sind und die digitalen Klänge zunehmen. Also wenn ich heute mit der U-Bahn durch eine Stadt fahre, bin ich immer umgeben von diesem Netz von digitalen Klängen. Das war vor einigen Jahren noch sehr viel weniger, weil die Leute noch Bücher gelesen haben. Und ansonsten, in New York, die Subway klingt anders heute, weil eben andere Betriebssysteme verwendet werden. Man könnte generell sagen, es gibt so einen Trend dazu, Maschinen zu ersetzen, durch eben Computerschaltung - und dementsprechend verändern sich auch die Klänge. Also ich habe ein großes Archiv von bestimmt über 1.000 Stunden elektromagnetischer Klänge inzwischen - und viele Klänge gibt es heute nicht mehr.

Vielen Dank!

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