Fragmentrecordings

Interview mit Marcus Beuter, soundart

Marcus Beuter ist Klangkünstler und Komponist elektroakustischer Musik. Er reiste bereits in viele Länder der Welt, um unterschiedliche Klänge der Städte aufzuzeichnen. Im folgenden Interview erfahren Sie mehr über seine Arbeit.

©Marcus Beuter
Marcus Beuter
Marcus Beuter ©Adela Gal

1. Herr Beuter, könnten Sie kurz Ihre Arbeit „fragmentrecordings" erläutern? Was verbirgt sich genau dahinter?

Der Begriff „fragmentrecordings“ umfasst sowohl meine Arbeiten als auch die dahinter stehende Philosophie. Es geht immer um einen Moment, in dem etwas geschieht: Bei den Audioaufnahmen bin ich eine Person, die in einem Moment an einem Ort Ausschnitte eines nicht erfassbaren Ganzen aufzeichnet. Bei den Kompositionen und Installationen handelt es sich dann um Fragmentierungen und Bearbeitungen des Ausgangsmaterials. Noch stärker ist es in der freien Improvisation: Ich arbeite mit einem Fundus an Umweltgeräuschen, die ich fragmenthaft einsetze, überlagere, verändere und breche. Konkret entsteht meine Arbeit aus Gelegenheitsaufnahmen – die entstehen, wenn ich plötzlich eine spannende klangliche Situation entdecke und das immer mitgeführte Aufnahmegerät einschalte – und geplanten Aufnahmen. Ich bin ein großer Freund der Langzeitaufnahme, da sich die Klanglandschaft an einem Ort häufig stetig entwickelt und die Qualität gerade dadurch hörbar wird. Je nach Klangquelle und auch nach Konzept des neuen Stücks wähle ich ein Mikrophon aus, das die gesamte Klanglandschaft oder gerichtet einen gewählten Klang aufnimmt. Ebenso entscheide ich mich, ob ich an einer Position bleibe oder mich während der Aufnahme bewege. Für mich sind ästhetische Fragen während der Aufnahme wichtiger als technische Kriterien. Nach der Archivierung der Aufnahmen geht es an den zeitintensivsten Abschnitt: Das wiederholte Abhören der Aufnahmen, um die verschiedenen Klänge, die Entwicklung und auch die Stimmung genau zu erfassen. Für das Stück relevante Abschnitte werden herausgetrennt und bei Bedarf elektronisch bearbeitet oder in einen neuen Kontext mit anderen Originalaufnahmen gebracht. Es beginnt – sowohl für elektroakustische Kompositionen als auch für Installationen – die lange Phase des Arrangements und Abmischens der Klänge. Für die Improvisationen suche ich mir aus Aufnahmen zumeist kurze Stellen, die ich in das Live-Set einfüge. Bei einem Auftritt mische ich die Klänge mit anderen Samples und/oder bearbeite sie elektronisch. Die Kompositionen werden z.T. im Radio oder auf elektroakustischen Festivals aufgeführt, die Installationen an verschiedenen Ausstellungsorten und auch auf Festivals. Die Live-Auftritte finden sowohl in Musikclubs statt, als auch in Hausruinen, Wohnzimmern oder auf der Strasse.

2. Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Ich glaube, dass es keine Objektivität gibt. Es gibt immer eine Person, die eine Erfahrung macht, die einen Ausschnitt wahrnimmt und daraus ihre Wahrheiten ableitet. Aus diesem Ansatz ergeben sich viele untergeordnete Ziele. In den Arbeiten geht es unter anderem darum, ungewöhnliche akustische Perspektiven einzunehmen. Ich würde dies als den Rahmen bezeichnen, der bei jedem Stück thematisch neu gefüllt wird.

3. Welche Erkenntnisse haben Sie im internationalen Städtevergleich hinsichtlich verschiedener Klänge gewonnen?

Es ist ein Paradoxon. Einerseits hat jede Stadt ihren Klang, begründet auf der Geographie, dem Klima, der Größe, auch auf der Kultur, die sie prägt, den Menschen, die in ihr leben. Und natürlich auch begründet auf der Architektur. Andererseits gibt es eine gewisse Uniformität. Verbrennungsmotoren in großer Anzahl erscheinen erst mal gleich klingend. Und viele Städte geben dem Autoverkehr starke Vorrechte. An einer großen Straßenkreuzung klingen viele Städte sehr ähnlich.

4. Welchen Zeitraum untersuchen Sie als Klangkünstler und was machen Sie mit den gesammelten Tönen?

Wie beschrieben, untersuche ich den Moment. Den Augenblick der Aufnahme. Daraus kann sich dann aber ein Stück entwickeln, das weit in die Vergangenheit oder Zukunft hineinreicht. Ich habe sowohl ein Stück über eine vom Krieg zerstörte und nicht mehr bewohnte Stadt gemacht als auch eines über die Träume und Wünsche von Menschen. Die gesammelten Klänge bilden ein stetig wachsendes Archiv. Ich verwende sie zum Teil für neue Stücke, manchmal höre ich ihnen einfach nur zu. Und einige schlummern und harren darauf entdeckt zu werden.

5. Was war Ihr einprägsamstes Erlebnis mit Klängen während Ihrer Arbeit als Klangkünstler?

Das sicherlich bewegendste Erlebnis war, als ich in der beschriebenen zerstörten Stadt Aufnahmen machte und unverhofft auf Schäfer mit ihrer Herde stieß, die mich zum Tee einluden. Inmitten dieser unfassbaren Zerstörung saß ich mit einem Lamm auf dem Schoß, dessen feines Blöken mich nun immer begleitet.

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