Bioökonomiepolitik: Kontinuität statt Wandel - Wissenschaftsjahr 2020/21 - Bioökonomie

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07.12.2020

Bioökonomiepolitik: Kontinuität statt Wandel

Kurz & Knapp
  • Der Fokus der gesellschaftlichen Debatten um die Bioökonomie verbreiterte sich im Laufe des letzten Jahrzehnts maßgeblich.
  • Diese Vielfältigkeit des Diskurses ist zwar begrüßenswert, schlägt sich aber auch in wenig konkreten politischen Strategien und Maßnahmen wider.
  • Die Bioökonomiepolitik ist daher vor allem von den etablierten Strukturen und Prozessen in ihren Teilsektoren geprägt – und damit eher von Kontinuität als von Wandel.

Bioökonomiepolitik: Kontinuität statt Wandel

Ein Beitrag von Dr. Thomas Vogelpohl, FernUniversität in Hagen

Bereits zu Beginn der 2010er Jahre kam in den Debatten um das Konzept der Bioökonomie die Frage auf: Ist die Bioökonomie eigentlich etwas Neues oder eher alter Wein in neuen Schläuchen? Die einzelnen Sektoren der Bioökonomie wie die Land- und Forstwirtschaft, die Pflanzenzüchtung oder die Bioenergie gab es schließlich seit Jahrzehnten, wenn nicht schon seit Jahrhunderten. Was also sollte das tatsächlich Neue an der Bioökonomie sein?

Als die Europäische Union (EU) das auf den ungarischen Mathematiker Nicholas Georgescu-Roegen zurückgehende Konzept der „bioeconomics“ Mitte der 2000er Jahre (wieder)entdeckte und auf ihre innovations- und forschungspolitische Agenda setzte, war diese Frage noch einfacher zu beantworten. Der Fokus der ersten Bioökonomiestrategien und -programme vor etwa einem Jahrzehnt lag relativ eindeutig auf der biotechnologischen Forschung und ihrer Anwendung und Kommerzialisierung in verschiedenen Sektoren.

Köpfe des Wandels

Dr. Thomas Vogelpohl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FernUniversität in Hagen am Lehrstuhl für Politikfeldanalyse und Umweltpolitik. Im BMBF-geförderten Forschungsprojekt „Bio-Ökopoli“ beschäftigt er sich dort mit den politischen Prozessen der Bioökonomie. Zuvor absolvierte ein Studium der Politikwissenschaft und promovierte sich anschließend mit einer Dissertation zur deutschen und europäischen Biokraftstoffpolitik.

Kämpfe um die Deutungshoheit

Die von der EU vorangetriebene Popularisierung dieser Lesart der Bioökonomie löste jedoch vor allem – weitestgehend interessengeleitete – Kämpfe um die Deutungshoheit über das Konzept selbst aus. Neben die biotechnologiefokussierte Definition traten in diesem Zuge eine ressourcenorientierte sowie eine ökologieorientierte Perspektive auf die Bioökonomie. Während erstere die Rolle biogener Rohstoffe sowie die Schaffung neuer Wertschöpfungsketten betont, hebt letztere die Bedeutung regionaler, agrarökologischer und zirkulärer Prozesse und Systeme hervor.

Auf das Betreiben verschiedener Akteure aus der Land- und Forstwirtschaft oder der Zivilgesellschaft gestaltete sich der Bioökonomiediskurs in der Folge um.

Weg von der Technologiefokussierung wurde die Bioökonomie so zu einem übergreifenden Konzept zur Beschreibung für sämtliche auf biogenen Ressourcen basierender Prozesse und Produkte, unter dessen Dach sich eine Vielzahl ökonomischer, gesellschaftlicher und ökologischer Ziele und Wünsche versammelt.

Abstrakte Strategien statt konkreter Maßnahmen

Mag diese diskursive Vielfältigkeit aus gesellschaftlicher Sicht berechtigt und sogar wünschenswert sein, so führte sie in Bezug auf die Bioökonomiepolitik jedoch zu einer weitgehenden Verwässerung und Zerstreuung entsprechender Strategien und Programme. So zeugen die aktuellen Bioökonomiestrategien Deutschlands oder der EU zwar von umfassenden, teils auch widersprüchlichen Zielen und Leitlinien, doch weniger von konkreten Maßnahmen.

Die einzelnen Sektoren der Bioökonomie – und damit auch die Bioökonomie insgesamt – sind somit eher durch das Zusammenspiel ihrer spezifischen und größtenteils lang etablierten Institutionen und Akteure geprägt als durch das sie derzeit eher lose umhüllende Dachkonzept der Bioökonomie. Zumindest hinsichtlich der Politik in Deutschland und Europa ist die Bioökonomie daher bislang tatsächlich weitgehend alter Wein in neuen Schläuchen, der eher für Kontinuität steht als für Wandel.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2020/21 – Bioökonomie.​