Ich teile max.75% der Gene mit meiner Schwester. 98,7% der Gene teile ich mit einem Schimpanse. Wiso ist meine Schwester kein Affe?

Joachim Müller-Jung ist Diplombiologe und Redakteur für die Fachgebiete Medizin, Biologie und Umwelt im Ressort "Natur und Wissenschaft" der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

"Wenn die Frage so richtig gestellt wäre, dann könnte man natürlich auch die berechtigte frage stellen, warum nicht jeder Schimpanse (und Gorilla und Orang Utan) nun endlich als Bruder (wenigstens als Gattungswesen) zu akzeptieren ist. Offensichtlich geht hier aber etwas durcheinander. So einfach lassen sich  Prozentzahlen nicht vergleichen, ohne die Basis zu kennen.  Bei den Unterschieden von Schimpanse zu Mensch vergleichen Anthropologen global die Verschiedenheiten in der Basenabfolge oder es werden die Unterschiede in der Aktivität der Gene miteinander verglichen. In beiden Fällen findet man, sofern der ganze Körper betrachtet wird und nicht einzelne Organe, in denen sich die Aktivitäten stark unterscheiden können, dass Mensch und Schimpanse zwischen 96 und 99 Prozent  genetisch ähnlich sind. Bei rund drei Milliarden Bausteinen summiert sich das in der Sequenz allerdings auch auf erkleckliche Millionen Unterschiede. 

Was die Schwester betrifft, geht es nicht um globale Sequenzunterschiede - die Ähnlichkeit ist logischerweise viel größer als die Ähnlichkeit zum Schimpansen, dem viele Dutzend ganze Gene sogar ganz und gar fehlen. Vielmehr geht es um die genaue Zusammensetzung (Sequenz) in den etwas über zwanzigtausend Abschnitten, die als Gene bekannt sind, und bei jedem Menschen  für die Ausprägungd er Eigenschaften und für Krankheiten/Anfälligkeiten verantwortlich sind. Schon leichte Abweichungen können zu unterschiedlichen Genvarianten und damit möglicherweise zu äußerlich erkennbaren Unterschieden  führen. 

Eineiige Zwillinge sind nahezu 100 Prozent ähnlich, weil sie dieselben Genvarianten von beiden Elternteilen mitbekommen haben. Zweieiige Zwillinge jedoch können sich, wie alle "normalen" Geschwister theoretisch in allen Genvarianten leicht unterscheiden, weil ihre zwei Chromosomensätze von unterschiedlichen Keimzellen (mit unterschiedlich kombinierten Genvarianten) beigesteuert wurden. Im statistischen Mittel haben Geschwister aber nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung rund  50 Prozent der Genvarianten gemeinsam. Zu bedenken ist:  Menschen unterscheiden sich aber nicht nur nach der Zusammensetzung der Genvarianten, sondern auch, weil sie in verschiedenen Umwelten leben. Gleiches gilt übrigens auch für den Affen."