Wissenschaftsjahr 2007 - Alltags-Geister. Eine Kolumne von Manuel Herder

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Alltags-Geister. Eine Kolumne von Manuel Herder

Geist und Hirn

???aural:Bildanfang???Porträt Manuel Herder, VerlegerManuel Herder, Verleger Quelle: Bertram Walter???aural:Bildende???

Was mögen die Bewohner des westjordanischen Wadi an-Natuf im heutigen Palästina gesucht haben, als sie zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte vor ca. 11.000 Jahren menschliche Schädel öffneten? Aktuell hört man wieder häufiger von der Hirnforschung, insbesondere der Neurophysiologie. Es muss da Durchbrüche gegeben haben - nicht nur durch die Schädeldecke. Denn jüngst werden wir informiert, welche Hirnregionen in Liebesdingen aktiv werden, wo es arbeitet, wenn jemand glaubt, und was das alles mit Stoffwechsel, Identität und Bewusstsein zu tun hat. Der Durchbruch besteht darin, dass man jetzt gelegentlich durch physiologische Untersuchungen etwas Nichtphysiologisches sucht: den Geist des Menschen, sozusagen den anthropologischen G-Punkt.

Aber um es kurz zu machen: Man findet ihn nicht und befürchtet zum wiederholten Male die Entzauberung des Menschseins. Nach Kopernikus, Darwin und Freud haben wir mit Entzauberungen schon ein bisschen Erfahrung. Der Philosoph Thomas Metzinger sinniert trotzdem über die Notwendigkeit einer "Anthropologiefolgeabschätzung" angesichts der Gefahr von "primitivem Materialismus in der Bevölkerung". Käme es aufgrund der erfolglosen Suche nach dem Geist im Hirn zu einer Materialismusepidemie, wäre das in der Tat tragisch, säße man doch einem Irrtum auf. Denn die Diskussion um Physiologie und Geist lässt diejenigen kalt, die mit Aristoteles bereits vermuteten, dass Essenz und Substanz nicht ohneeinander auskommen.

Schiller sagt das natürlich schöner: Der Geist selbst sei weder Materie noch Form, weder Sinnlichkeit noch Vernunft, sondern "etwas das mit beiden so zu sagen wirtschaftet, also wesentlich ein Wollen und Tun". Denken ist demzufolge "eine absolute Thathandlung des Geistes". Zu denken, man könne Geist leugnen, weil man ihn bei der Musterung der Physis nicht gesehen habe, gehört vermutlich zu den weniger absoluten "Thathandlungen". Vielleicht war man da im protoneolithischen Palästina schon weiter.


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