Wissenschaftsjahr 2007 - „Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Kulturen ist nicht nötig“, ein Interview mit Manfred Pinkal

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„Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Kulturen ist nicht nötig“, ein Interview mit Manfred Pinkal

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„Ich bewege mich zwischen den Welten“, sagt der Saarbrücker Computerlinguist Manfred Pinkal über sich selbst. Studiert hat der Leibnizpreisträger Germanistik, Philosophie und Informatik. Ein Gespräch über sprechende Autos, dichtende Computer und zur Frage, was die Geistes- von den Naturwissenschaften lernen können.

Herr Professor Pinkal, Sie präsentieren auf der CeBIT gerade einen PKW, der mit dem flexiblen Sprachdialog ausgestattet ist, den Sie maßgeblich mitentwickelt haben – ein beliebter Gesprächspartner bei den Messebesuchern?

Ja, die Besucher machen intensiv von dieser Möglichkeit Gebrauch und freuen sich darüber, mit einem Auto frei in ihrer eigenen Sprache und ohne vorher festgelegte Kommandos sprechen zu können.

Werden die Dialogsysteme, die auf Ihrer Technologie basieren, irgendwann in Serie gehen?

Die Automobilindustrie zeigt sich sehr interessiert. Ich rechne mit zeitnahen Entscheidungen, ob die Übernahme der neuen Technologie in die Serienfertigung angegangen werden kann. Dann wird es selbstverständlich noch ein paar Jahre dauern, aber es spricht viel dafür, dass natürlicher Sprachdialog in etwa fünf Jahren bei einigen Neuwagenmodellen dabei ist.

Ist es unbedingt nötig, mit einem Computer zu reden?

Sie haben Recht, am PC ist das nicht unbedingt nötig. Sobald Sie im Auto sitzen, ist die Situation jedoch völlig anders geartet. Dann haben Sie die Hände am Steuer und den Blick auf die Straße gerichtet. Wenn Sie zusätzlich während der Fahrt ein Display bedienen müssen, bedeutet das Ablenkung und ein potentielles Sicherheitsrisiko. Hier ist Sprachbedienung eine echte Hilfe, mit der Sie alle Funktionen des Fahrzeugs bedienen können, die nicht sicherheitsrelevant sind. Das Telefon, das Navigationsgerät, der MP3-Player, das Radio, die Scheibenwischer – alle diese Dinge lassen sich per Sprache steuern.

Ist man schon soweit, dass man mit Computern ein freies Gespräch führen kann – egal zu welchem Thema?

Nein, ich denke, es wird einige Zeit dauern, bis es Spracherkennungs- und Dialogsysteme geben wird, die völlig unabhängig von praktischen Anwendungen einen sehr großen Wortschatz bedienen und mit denen Sie sich über Gott und die Welt unterhalten können. In absehbarer Zeit wird so ein System noch nicht existieren – zumindest nicht als serienreifes Produkt.

Sprache und Computer – ist irgendwann der Zeitpunkt erreicht, an dem Computer anfangen zu dichten oder Romane schreiben?

Wir dürfen nicht zu viel erwarten. Wissen Sie, ich kann auch keine Romane schreiben. Genauso wenig kann ich Goethe-Gedichte angemessen in fremde Sprachen übertragen. Computerisierte Sprachsysteme eigenen sich zunächst für bestimmte praktische Anwendungen – aber auch die stellen schon recht hohe Anforderungen an den Rechner.

Wie sind Sie eigentlich zur Computerlinguistik gekommen?

Als ich anfing zu studieren, hatte ich einerseits starke kulturwissenschaftliche Interessen, andererseits aber auch analytisch-naturwissenschaftliche Neigungen. Leider gab es damals kein Fach, das beiden Vorlieben Rechnung getragen hätte. Deswegen entschied ich mich für ein Doppelstudium – Germanistik und Philosophie hier, Informatik dort. 

Das mündete schließlich in eine Disziplin, die sich Ende der siebziger Jahre zu entwickeln begann und zu deren Etablierung in Deutschland ich beitragen konnte – die Computerlinguistik. Ein ideales Studium für jene, die analytisch und gleichzeitig kulturwissenschaftlich arbeiten wollen.

In Ihrem Forschungsbereich haben Sie also Gelegenheit, die beiden „Kulturen“ miteinander zu verbinden. Betrachten Sie sich eher als Geistes- oder als Naturwissenschaftler?

Die Frage stelle ich mir so nicht. Ich bewege mich zwischen beiden Welten hin und her und bin damit sehr glücklich.

2007 ist das Jahr der Geisteswissenschaften – käme Ihre Forschungstätigkeit ohne geisteswissenschaftliche Vorarbeiten aus?

Das hängt davon ab, was Sie unter Geisteswissenschaften verstehen. Fakt ist: Computerlinguisten brauchen sowohl einen sprachwissenschaftlichen Hintergrund als auch allgemeine psychologische Kenntnisse. Und wenn sie vor der Aufgabe stehen, unser PKW-Spracherkennungssystem zum Beispiel japanischen Autofahrern schmackhaft machen zu müssen, benötigen sie auch kulturwissenschaftliches Wissen. Interkulturelle Kompetenz spielt in der Computerlinguistik eine Rolle.

Sollten die Geistes- und Naturwissenschaften generell noch stärker zusammenarbeiten, als dies im Augenblick der Fall ist?

Ja und Nein. In den Sprachwissenschaften stehen wir gemeinsam mit den Naturwissenschaften vor der Situation, dass wir experimentelle Umgebungen bauen, mit deren Hilfe wir Hypothesen testen können. Sätze werden wiederholt, für spezifische Sprachsituationen gelten ähnliche Bedingungen. Historiker hingegen arbeiten mit einzigartigen Gegenständen und Situationen, die viel stärker Unikate sind: nicht wiederholbar und damit den quantitativen und experimentellen naturwissenschaftlichen Methoden nicht zugänglich. Denken Sie zum Beispiel an Goethes Faust, ein singuläres Kunstwerk. Hermeneutische Verfahren sind in diesem Fall als wissenschaftliche Methode vermutlich besser geeignet. Insofern sehe ich bei den historisch ausgerichteten Geisteswissenschaften die Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaften nicht so sehr.

Sollten sich die Geisteswissenschaften die exakten Wissenschaften zum Vorbild nehmen?

So weit würde ich nicht gehen. Allerdings sollten die Geisteswissenschaften prüfen, ob sie technologische Verfahren für bestimmte Forschungsbereiche nicht übernehmen können. Aber hier ist generell schon eine gute Entwicklung zu beobachten. Mein Eindruck ist, dass sie in einigen Feldern durchaus noch stärker gemacht werden könnte. Das fängt bei relativ einfachen Dingen an, wie zum Beispiel Online-Archiven und fortgeschrittenen, intelligenten Suchverfahren, von denen Historiker oder Kulturwissenschaftler stark profitieren könnten.

Interview: Sebastian Thomas


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