Wissenschaftsjahr 2007 - "Sprache fließt", ein Interview mit Ludwig Eichinger

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"Sprache fließt", ein Interview mit Ludwig Eichinger

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Ludwig Eichinger, Direktor des Instituts für Deutsche Sprache Mannheim, über Goethes Achtzigtausend, rituelle Beschimpfungen und Klapprechner, die partout nicht so heißen wollen.

Herr Eichinger, heute ist der Tag der Muttersprache - welches ist Ihr Lieblingswort?

Ich mag den Ausdruck "Zauberwort". Er stammt aus einem berühmten Eichendorff-Vierzeiler und illustriert den Zusammenhang zwischen Sprache und Welt sehr schön: Schläft ein Lied in allen Dingen,/ Die da träumen fort und fort,/ Und die Welt hebt an zu singen,/ Triffst du nur das Zauberwort.

Wenn ich gefragt hätte, welches Wort finden Sie urstgeil - hätten Sie mich dann auch verstanden?

Ich bin zwar der Jugendsprache entwachsen, "urstgeil" hätte ich aber noch verstanden!

Wie kommt ein solches Wort überhaupt zustande?

In der Regel tauchen neue Wortschöpfungen in regionalen Sprachgewohnheiten von Jugendlichen auf. Das Präfix "Urst" ist in der ehemaligen DDR schon länger üblich gewesen. Jugendsprache lässt sich soziologisch begründen. Zum einen wollen sich die Jugendlichen von der Erwachsenenwelt abgrenzen. Zum anderen handelt es sich bei diesen Wörtern oft um eine Art rituelle Beschimpfung; Jugendliche pflegen oft eine grobe Sprache. Nicht weil sie sich beleidigen wollen, sondern weil sie ausdrücken möchten: Wir mögen uns so gerne untereinander, dass wir uns an den Kopf werfen können, was wir wollen - eben ohne uns zu beleidigen.

Grobheiten, die Zuneigung ausdrücken sollen, kommen aber nicht nur bei Jugendlichen vor.

Nein, so etwas ist auch unter Erwachsenen üblich. Nehmen Sie etwa den Ausdruck: "Du blöder Hund." Unter Freunden ist das nicht notwendigerweise eine Beschimpfung, sondern kann auch als Signal der Vertrautheit gedeutet werden.

Wir laden also ursprünglich negative Ausdrücke...

...mit positiver Bedeutung auf, richtig. Noch ein Beispiel aus dem Jugendslang ist das Wort "ätzend". Da wusste man auch nie, ob es positiv oder negativ gemeint war, beides war möglich.

Ein Wort, das allerdings heute kaum noch verwendet wird.

Sehen Sie, wenn ein Erwachsener wie ich dieses Wort in seiner Slang-Bedeutung kennt, dann ist der Identität stiftende Effekt für Jugendliche verpufft und eine Abgrenzung nach außen nicht mehr möglich.

Ist das der Moment, in dem ein solches Wort wieder aus der Mode gerät?

Ja, es verliert dann an Wert. Der Austausch solcher Markierungswörter findet relativ schnell statt. Was gestern noch en vogue war, ist heute schon nicht mehr aktuell. Sobald ein Wort Eingang in die Mediensprache gefunden hat und von der Öffentlichkeit übernommen wird, verliert es für die Jugendlichen an Reiz. Dann kommt etwas Neues nach. Sprache ist kein statisches Gebilde, sondern befindet sich ständig im Fluss.

Dennoch finden sich in  den Medien zahlreiche sprachkritische Glossen. Oft wird darin gegen den Einfluss des Englischen auf die deutsche Sprache gewettert. Ist das ein Kampf gegen Windmühlen?

Tatsächlich macht die Globalisierung vor unserer Sprache nicht halt. Der Einfluss des Englischen war schon Mitte des 19. Jahrhunderts spürbar, verstärkte sich nach dem 2. Weltkrieg noch einmal merklich, um in den zurückliegenden 20 Jahren dramatisch anzuwachsen. Diese Entwicklung findet nicht nur Freunde, sondern sorgt auch für Irritationen. Misstrauen gegen fremdsprachige Einsprengsel ist jedoch nichts Neues. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es eine ähnliche Bewegung gegen französische Lehnwörter. Bei aller Sorge um den Erhalt des Deutschen sollte man sich aber vor Augen halten: Fremde Einflüsse haben die europäischen Sprachen zu dem gemacht, was sie sind.

Also kein Grund zur Sorge?

Einen Unterschied gibt es schon: Früher haben sich diese fremden Einflüsse nur in der Sprache bestimmter Schichten durchgesetzt - Französisch zum Beispiel war nur den Gebildeten vorbehalten. Heutzutage sind Anglizismen jedoch in der gesamten Bevölkerung präsent. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass das Gewicht des Englischen auf unsere Sprache nicht überhand nehmen wird.

Woher dieser Optimismus?

Nun ja, viele Menschen streuen englische Brocken in ihre Sprache ein, um sich von anderen abzuheben. Dieser Stilisierungseffekt verliert jedoch in dem Moment seine Wirkung, in dem eine große Mehrheit der Gesprächspartner gute Englischkenntnisse vorweisen kann.

Wann wird das der Fall sein?

Vorhersagen sind immer schwierig, aber wenn ich mir das Schulwesen anschaue, denke ich, dass es in spätestens zehn bis 15 Jahren so weit sein wird.

Ist diese Neigung, sich in Szene zu setzen, das größte Einfallstor für Fremdwörter in die deutsche Sprache?

Für Anglizismen, die wir im Alltag benutzen, lässt sich das wohl so sagen. Aber es gibt noch andere Einfallstore, etwa die Fachsprachen, die sich einer internationalen Terminologie bedienen. Es ist offenbar schwierig, für jedes dieser Fachwörter eine deutsche Entsprechung zu finden. Insofern gibt es mindestens zwei Wege, auf denen ein Fremdwort ins Deutsche gelangen kann: Zum einen als Fachterminus, der dann in den allgemeinen Sprachgebrauch übergeht. Oder eben als Modeerscheinung, die dann von den Medien weiter getragen wird.

Wie kommt es, dass deutsche Übersetzungen gegenüber englischen Begriffen oft den Kürzeren ziehen?

Dem Deutschen mangelt es ein wenig an jener plastischen Kürze, die dem Englischen eigen ist. Für "Notebook" gibt es im Deutschen keine gleich berechtigte Übersetzung. Im letzten Jahr wurde per Wettbewerb nach einer deutschen Entsprechung für "Notebook" gesucht. Was kam dabei heraus? Klapprechner! Auch keine wirklich klangvolle Bezeichnung, irgendwie zu lang und zu explizit. Daher ist die englische Bezeichnung vergleichsweise attraktiv. Das gilt auch in anderen Fällen.

Dabei verfügt das Deutsche doch über einen ungeheuer großen Reichtum an Wörtern. 

Da haben Sie Recht, große Wörterbücher verzeichnen rund 300.000 Begriffe. Aber kaum jemand wird alle Wörter kennen, geschweige denn gebrauchen. Goethes Wortschatz umfasste rund 80.000 Wörter - das ist ausgesprochen viel, wenn man bedenkt, dass wir uns in unserer Alltagssprache mit rund 3000 begnügen. Die Zahl der Wörter, die wir verstehen, ist natürlich viel größer.

Wächst der deutsche Wortschatz oder schrumpft er?

Er wächst, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse komplexer geworden sind. Natürlich verschwinden auch Wörter, aber das ist ein langsamer Prozess. Unter dem Strich kommen mehr Wörter hinzu als verloren gehen. Historisch lassen sich Phasen ausmachen, in denen der Zuwachs an Ausdrücken besonders stark war - etwa die Zeit um das Jahr 1200. Damals ging man daran, abstrakte Bezeichnungen aus dem Latein ins Deutsche zu übersetzen. Wörter wie "Erinnerung" sind entstanden. Die Moderne ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass viele Fachwörter in den allgemeinen Sprachgebrauch gelangen.

Eine Entwicklung, die vielfach Kritik auslöst. Fachtermini machten die Sprache nicht präziser, sondern oftmals einfach unverständlich, heißt es.

Die Naturwissenschaften besitzen tatsächlich eine strikte Terminologie. Wenn ich dort einen Begriff nicht verstehe, dann liegt es daran, dass meine Kenntnisse der Mathematik, Chemie oder Physik begrenzt sind. Diese Fachausdrücke sind aber notwendig, um bestimmte Probleme begrifflich auf den Punkt zu bringen.

Gilt das auch für die Geisteswissenschaften?

Geisteswissenschaftler haben ein besonderes Verhältnis zur Sprache, sie ist das primäre Instrument ihrer Forschung. Sie untersuchen Sprache oder sprachliche Zeugnisse und geben ihre Erkenntnisse mit Hilfe der Sprache weiter. Nicht umsonst erweist das Jahr der Geisteswissenschaften mit seinem Slogan "ABC der Menschheit" der Sprache Referenz. Aber vielleicht sollten wir den Impetus des Wissenschaftsjahres nutzen, um über Sinn und Zweck von Fachtermini in den jeweiligen geisteswissenschaftlichen Fachsprachen nachzudenken. Zuweilen habe ich den Eindruck, dass gerade in den Geisteswissenschaften ständig neue Terminologien geboren werden, ohne dass scharf definiert ist, was mit dem einen oder anderen Fachwort eigentlich gemeint ist. Das erschwert eher das Verständnis.

In den Geisteswissenschaften sind Fachausdrücke also überflüssiger Ballast, von dem man Aufsätze und Texte befreien sollte?

Zumindest sollten sich Geisteswissenschaftler stärker mit der Frage beschäftigen, ob jedes Fachwort unbedingt notwendig ist. Überhaupt wird in der deutschen Wissenschaftsliteratur ein Stil gepflegt, der nicht besonders leserfreundlich ist. Dieser Stil ist stark von Substantivierungen geprägt. Fachleute haben zwar keine Schwierigkeiten mit der Aneinanderreihung von Substantiven, sie lesen ohnehin nur die Wortkerne und erschließen so die Bedeutung des Geschriebenen. Ihnen ist egal, wie komplex die Syntax ist.  Studienanfänger hingegen, die mit Hilfe dieser Texte lernen wollen, tun sich schwer. Die englische Wissenschaftsliteratur ist sprachlich weniger komplex.

Dem großen Stilisten Jean Paul galt das Deutsche als die "Orgel unter den Sprachen" - ein Kompliment?

Ja, ich denke er bezog sich mit seiner Aussage auf die Ausdruckskraft und den Wortreichtum des Deutschen. Jean Paul ist ja dafür bekannt, sein Werk mit neuen Komposita gespickt zu haben, also mit zusammengesetzten Wörtern. Die englische Grammatik erlaubt zwar auch die Bildung von Komposita, im Deutschen wurde von dieser Möglichkeit aber viel stärker Gebrauch gemacht. Das hat zu einer starken Bildhaftigkeit in unserer Sprache geführt. Ein Beispiel: Ein Roman des Schriftstellers Peter Handke heißt "Mein Jahr in der Niemandsbucht". Kein Mensch weiß, was eine Niemandsbucht ist und selbst wenn man den Roman durchgelesen hat, bleiben Zweifel. Dennoch weckt das Wort Assoziationen und ruft Bilder hervor. Ein stilistischer Trick:  Man verschmilzt zwei Wörter miteinander, lässt den Zusammenhang im Unklaren und überlässt es Leser und Kontext, das neue Wort mit Bedeutung zu füllen - ein Appell an die Vorstellungskraft des Lesers. Das mag Jean Paul gemeint haben.

Auf den Klang des Deutschen hat er sich mit seinem Bild von der Orgel also nicht bezogen?

Das würde ich bezweifeln, schließlich gilt das Deutsche nicht gerade als wohlklingende Sprache. Bereits Voltaire hat sich über die Häufung von Konsonanten lustig gemacht. Allein das Wort Strumpf: vorne drei Konsonanten, hinten drei Konsonanten und in der Mitte ein einsamer Vokal. Und für das englische Wort "Pound", lautet die deutsche Entsprechung - Pfund.

Was schätzen Sie an der Deutschen Sprache besonders?

Den hohen Grad an Ausdrucksfähigkeit, den sie ermöglicht. In unserer Sprache gibt es eine starke Annäherung an die Gedanken. Die Franzosen drücken durch das Verb "aller" alle möglichen Formen der Fortbewegung aus. Im Deutschen hingegen lässt es sich aus dem Vollen schöpfen. Wir gehen, kriechen, laufen, watscheln…

Haben Sie eine Lieblingsfremdsprache?

Ich bin ein Fan des Englischen, es überrascht mich immer wieder. Es ist eine stilistisch sehr modifizierte Sprache mit einer fast unerschöpflichen Zahl von Redewendungen. Hinzu kommt, dass sie Verben mit zahllosen Präpositionen koppeln können und ihnen so  eine völlig neue Bedeutung geben. Spielerische Effekte sind möglich, die das Deutsche nicht vorsieht. So lässt sich im Englischen aus jedem Substantiv ein Verb bilden.  Wissen Sie, wie es heißt, wenn amerikanische Studenten zur Examensfeier die Autos ihrer Kommilitonen mit Klopapier einwickeln? To toiletpaper!


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