Wissenschaftsjahr 2007 - Müssen die Geisteswissenschaften für die Gesellschaft nützlich sein?

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Müssen die Geisteswissenschaften für die Gesellschaft nützlich sein?

Die erste große Debatte im Jahr der Geisteswissenschaften betreibt kritische Nabelschau: Wie nützlich sind die Geisteswissenschaften? Müssen ihre Forschungen einen Mehrwert für die Gesellschaft haben oder ist es gerade eine ihrer Stärken, von jeder Verpflichtung und Rechtfertigung frei, ihren Interessen und Fragestellungen nachzugehen? Wir dokumentieren die wichtigsten Argumente und Positionen.


Hans Ulrich Gumbrecht: "Der Luxus des freien Denkens"

In seinem Artikel "Der Luxus des freien Denkens" (FAS, 07.01.2007) sperrt sich Hans Ulrich Gumbrecht, Professor für Romanistik an der Stanford University, gegen den Nützlichkeitsanspruch und fordert mehr Mut der Geisteswissenschaften zur Exzentrik: "Bewundernswert und förderungswert sind sie allein wegen ihrer luxuriösen Unwahrscheinlichkeit. Dafür freigestellt zu sein, die Welt komplexer scheinen zu lassen, ist ein Erbe und Privileg...".


Harald Welzer: "Schluss mit nutzlos!"

Harald Welzer, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Witten/Herdecke , ermutigt die Geisteswissenschaftler in seinem Artikel "Schluss mit nutzlos!" (Die Zeit, 25.01.2007) auf, ihren Nutzen für die Gesellschaft stärker zu kommunizieren: "Die Geistes- und Kulturwissenschaften werden ohne eine Öffnung ihres Gegenstandsbereiches nicht in der Lage sein, jene verantwortliche Rolle einzunehmen, die ihnen angesichts radikal neuer gesellschaftlicher Problem zukommt."


Gustav Seibt: "Du sollst nicht lärmen"

Der Berliner Publizist Gustav Seibt wendet sich seinem  Artikel "Du sollst nicht lärmen" (Süddeutsche Zeitung, 31.01.) gegen eine Öffnung und Popularisierung der Geisteswissenschaften. Wider die  Reklame für die Geisteswissenschaften ist sein Credo. Er möchte, dass  sie in ihrem Elfenbeinturm verharren, denn: "Weltfremdheit nämlich ist Freiheit". Leider ist dieser Artikel momentan nicht online verfügbar. Über untenstehenden Link gelangen Sie zum Internet-Auftritt der Süddeutschen Zeitung.


Gyburg Radke: "Ein Meer des Schönen"

Die Marburger Alt-Philologin Gyburg Radke nimmt Bezug auf Ulrich Gumbrecht, wenn sie in ihrem Artikel "Ein Meer des Schönen" (Die Welt,16.02.2007) das Potenzial von zukunftorientierten, aktiv gestaltenden Geisteswissenschaften beschreibt, die sich nicht nur auf sich selbst zurückziehen: "Geisteswissenschaften, die so denken, denken nicht jenseits unserer Kultur und Gesellschaft, sondern formen sie." Leider ist dieser Artikel momentan nicht online verfügbar. Über untenstehenden Link gelangen Sie zum Internet-Auftritt der Welt.


Martin Seel "Wir sind doch kein Service-Unternehmen!"

Martin Seel, Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main, antwortet Harald Welzer. In seiner Replik "Wir sind doch kein Service-Unternehmen!" (Die Zeit, 08.02.2007) stellt er fest: "Je mehr die Geisteswissenschaften sich nützlich machen versuchen, desto mehr verlieren sie an Wert."


Andreas Schlüter: "Lästige Fragen stellen"

Der Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, Andreas Schlüter, vertritt in seinem Artikel "Lästige Fragen stellen" (FTD, 14.03.) dagegen die Ansicht, dass die Geisteswissenschaftler der Diskussion um ihren Nutzen nur durch ein Umdenken begegnen können. Anstatt auf ihren intellektuellen Sonderstatus zu pochen, sollten sie ihre Fähigkeit als gesellschaftliche Problemlöser unter Beweis stellen: "In den unübersichtlichen Globalisierungsprozessen können gerade die kleinen, international ausgerichteten Fächer mit ihrer Expertise wichtige Ratgeber für Wirtschaft und Politik sein."


Jürgen Kocka: "Ich gehe nicht fremd"

Im Interview "Ich gehe nicht fremd“ (SZ, 31.03.) über seine Bilanz und den Wandel der Wissenschaftskulturen geht der Historiker Jürgen Kocka auch auf die Nützlichkeitserwartung an seine geisteswissenschaftliche Disziplin ein. Zwar sind die Ergebnisse nicht nützlich im Sinne einer unmittelbaren marktorientierten Verwertung, "...aber in unseren indirekten Wirkungen können wir doch recht nützlich sein für eine gute Entwicklung der Gesellschaft."


Simone Lässig: "Es geht um Verantwortung, nicht um 'Nutzen'"

Die Braunschweiger Historikerin Simone Lässig, Direktorin des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung, schreibt in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (27.07.2007):  "Geisteswissenschaften lassen sich keiner platten Kosten-Nutzen-Bilanz unterwerfen - genauso wenig übrigens wie alle anderen Wissenschaften." Aber "gerade im Jahr der Geisteswissenschaften müssen wir der Öffentlichkeit  erklären können, warum unsere Disziplinen unverzichtbar sind (...) und wir dürfen auch nicht ängstlich zurückzucken, wenn die Frage nach Relevanz gestellt wird."


Gunther Hirschfelder: "Wozu braucht man Erkenntnisse, die keinen Profit bringen?"

"Das klassische Modell der Geisteswissenschaften steckt in einem schmerzhaften Transformationsprozess", schreibt der Bonner Kulturanthropologe Gunther Hirschfelder (Die Welt, 08.08.2007). Aber die Anstrengung lohne, denn: "Der europäische Umgang mit Wissen und (Geistes-) Wissenschaft ist (...) ein Lebensstil, aus dem dieser Erdteil eine gute Portion seiner einzigartigen Produktivität schöpft."


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