Wissenschaftsjahr 2007 - "Die Forschung braucht mehr Freiraum", ein Gespräch mit Sybille Krämer



"Die Forschung braucht mehr Freiraum", ein Gespräch mit Sybille Krämer

???aural:Bildanfang???Sybille Krämer???aural:Bildende???

Sybille Krämer, 56, ist Professorin für theoretische Philosophie am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin. Sie war Mitglied im Wissenschaftsrat, der als Beratungsgremium von Bund und Ländern die Einrichtung international ausgerichteter geisteswissenschaftlicher Forschungskollegs empfohlen hat. Drei solcher Kollegs werden nun eingerichtet. Als Permanent Fellow am -  einzigen bisherigen - Wissenschaftskolleg zu Berlin kennt sie das Arbeitsumfeld in Forschungskollegs aus eigener Anschauung. Krämer: "Die Internationalen Kollegs werden den Wissenschaftlern ein Stück Freiraum zurückgeben."

Woran mangelt es der geisteswissenschaftlichen Forschung in Deutschland?

Die Standardantwort lautet: Geld. Tatsächlich aber ist die knappste Ressource in der deutschen Forschungslandschaft die Zeit zum Forschen. Denn die sich für die Forschung besonders intensiv engagierenden Hochschullehrer - das gilt natürlich für alle Fächer - sind konfrontiert mit einem Paradox: Je erfolgreicher ihre Forschung, umso weniger Zeit bleibt dann noch für die Forschung. Diese fatale Gleichung ist das Damoklesschwert, unter dem wir fast alle arbeiten.

Wie wirkt sich diese Gleichung auf den wissenschaftlichen Arbeitsalltag aus?

Wir sind eingespannt zwischen einem exorbitant zunehmenden Gutachterwesen, großer Lehrbelastung, starker Beanspruchung durch Nachwuchsförderung und Managementfunktionen. Diese Situation beeinträchtigt nachhaltig die Qualität unserer Forschung.

Inwiefern?

Nun ja, die Geisteswissenschaften beruhen zum Gutteil auf Individualforschung, deren Güte immer auch an die konkrete Person und deren Erfahrung gebunden ist. Die Tiefe und Reichweite geisteswissenschaftlichen Arbeitens wächst also mit dem Alter der Forschenden. Während in der Mathematik und den Naturwissenschaften die Gipfelpunkte der Kreativität oftmals in jüngeren Jahren liegen, ist das bei den Geisteswissenschaftlern also nicht der Fall. Wenn nun alle erfolgreichen an der Universität arbeitenden Forscher und Forscherinnen einer von Jahr zu Jahr exponentiell wachsenden Mehrbelastung unterliegen, hat das für Geisteswissenschaftler die problematische Konsequenz, in der Phase ihrer höchsten Produktivität zugleich unter der höchsten Beanspruchung durch forschungsfremde Aufgaben zu stehen.

Und die Forschungskollegs können Abhilfe schaffen?

Ja, die Forschungskollegs werden den Wissenschaftlern ein Stück Freiraum zurückgeben – allerdings nur, wenn sie ihrerseits verbunden sind mit "schlanken" Organisationsstrukturen, die nicht wiederum ein Übermaß an Verwaltungsfunktionen freisetzen.

Gibt es neben dem Zeitfaktor weitere Gründe für die Einrichtung von Forschungskollegs?

Ja, überspitzt ausgedrückt bewahren sie die Universitäten vor dem Ausbluten.

Wie meinen Sie das?

In den Naturwissenschaften sind wir zunehmend konfrontiert damit, dass höchst erfolgreiche Forschung nicht mehr in, sondern außerhalb der Universitäten angesiedelt ist. Und nicht wenige Stimmen sind zu hören, die diese Auswanderung der Spitzenforschung aus den Universitäten auch den Geisteswissenschaften empfehlen, um so erst die Freiräume zum Forschen zu erringen, welche die Universitäten heutigen Zuschnitts nicht mehr bieten oder bieten können. Doch welcher Bärendienst ist das für die Universität als Stätte der Bildung und Ausbildung all jener, welche die Geschicke von Kultur, Politik, Ökonomie, Recht etc. unseres Landes einmal prägen werden! Die Hochrangigkeit der Nachwuchsförderung, sowie die internationale Sichtbarkeit von Universitäten werden und würden mit der Auslagerung der Forschung aus den Universitäten zunehmend zu Grabe getragen. Daher ist es ein wissenschaftspolitisch gar nicht hoch genug zu bewertender Impuls, dass diese Kollegs ausdrücklich innerhalb der Universität angesiedelt sind, also internationale Wissenschaftler in die Universität hineinholen, wie auch - in "kleinem aber feinem" Umfang - hochkarätige Forschungsimpulse in die Lehre wieder einfließen lassen können - und dies war übrigens ein zentrales Anliegen des Wissenschaftsrats, der die Forschungskollegs in seinen "Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland" 2006 vorgeschlagen hat.

Berlin, Bochum und Weimar - überrascht Sie die Auswahl der Gewinner-Universitäten?

Nein, überrascht war ich nicht. Es sind ja schließlich nicht primär die Universitäten, die gewonnen haben. Es sind vielmehr die Personen und vor allem die von ihnen entworfenen Themen. Entgegen dem Vorurteil, dass Geisteswissenschaften sich immer auch auf den für die "Wirklichkeit verlorenen Spielwiesen des Nutzlosen" tummeln dürfen, wird mit der Auswahl dieser Themen das Zeichen gesetzt, dass Geisteswissenschaften Wesentliches beizutragen haben zu den Fragen und Problemen, mit denen unsere gegenwärtige Lebenswelt uns konfrontiert.

Können Sie das konkretisieren?

Nehmen wir das Beispiel Bochum: Dort soll über "Dynamiken der Religionsgeschichte zwischen Asien und Europa" geforscht werden. Religionen haben sich immer schon in kulturellen Kontakten wechselseitig beeinflusst, aber auch aneinander gerieben und gegeneinander gekämpft; die Traditionen dieser sei es befruchtenden oder zerstörerischen interkulturellen Kontakte zutage zu fördern, kann ein neues Licht werfen auf gegenwärtige Erfahrungen im Zusammenprall der Religionskulturen und damit eingeschliffene Konstellationen und Denkmuster in Bewegung bringen.

Und die übrigen Preisträger, etwa Weimar?

An der Wahl der Bauhaus-Universität Weimar finde ich besonders erfreulich, dass auch ein Forscherteam in den neuen Bundesländern sich mit ihrem Kolleg den Kulturtechniken und Medien zuwenden will. Allzu lange haben wir in unserem Kulturkonzept das Symbolische, verkörpert etwa in Texten und Bildern, vom Technischen, das sich materialisiert in Maschinen und Apparaten, getrennt. Doch die Dynamiken von Kulturen wurzeln immer auch in kulturtechnischen Phänomenen jenseits dieser Weggabelung: denken wir etwa an die computergenerierte Visualisierung, die im Zusammenwirken von Technik und Symbol unser Bild der Welt und von uns selbst so nachhaltig verändert.

Bleibt Berlin.

Über das an der Freien Universität geförderte Kolleg über "Verflechtungen von Theaterkulturen" zu sprechen, heißt für mich, "pro domo" zu reden. Berlin und nicht zuletzt die Freie Universität gehören zu den international wohl produktivsten Gravitationsfeldern geisteswissenschaftlicher Forschung. Immer wieder gehen von hier grundlegende Impulse aus, die Methoden und Gehalte in den Geisteswissenschaften fächerübergreifend neu akzentuieren. Dass die internationale Verflechtung von Theaterkulturen keineswegs - wie vielleicht zu erwarten wäre - zu einer Vereinheitlichung der Theaterkulturen führt, vielmehr neue Diversifizierungen hervorbringt, ist eine äußert spannende Hypothese. Und sie ist folgenreich keineswegs nur für das Theater. Vielmehr kann die Analyse der theatralen Ausdifferenzierung modellhaft einen Weg zeigen, dass Globalisierung und internationale Verflechtung keineswegs - wie es die Ökonomie zu dokumentieren scheint - zur Löschung von Vielfalt, zur Uniformierung führen muss, sondern dass sie auch Springquelle der Ausbildung neuer Formenvielfalt sein kann. Übrigens war das Theater immer schon mehr als "nur Theater": es war und ist Modell unseres Verhältnisses zur Welt.

Was ist für Sie persönlich das Besondere an der Kolleg-Arbeit?

Das Besondere an der Arbeit am Berliner Wissenschaftskolleg ist es, erleben zu dürfen, wie hier ein Spielraum "programmfreien Forschens" geschaffen wird. Keinen programmatisch ausgerufenen Forschungstrends wird hier gefolgt, keinen wissenschaftlichen Moden das Wort geredet. Ja, sogar "riskante Forschung" jenseits allgemein anerkannter Methoden und Problemstellungen findet hier ihren Ort. Bei der Auswahl der Fellows zählt alleine das außerordentliche Ingenium einer Person, deren bisherige Arbeiten und deren Projektvisionen das Vertrauen rechtfertigt, dass dieser Fellow in völliger Freiheit von weiteren Auflagen (wenn man einmal von der Teilnahme am kollektiven Lunch absieht) noch unbegangenes Land durch seine Forschungen erschließen kann. Gerade der Umstand, dass am Berliner Wissenschaftskolleg Geistes- und Naturwissenschaftler nicht in "Klassen" aufgespalten werden, sondern - etwa im Dienstagskolloquium - gemeinsam diskutieren, ist eine einzigartige Erfahrung. Zugleich übersteht kaum ein persönliches Arbeitsvorhaben unverändert die Zeit am Wissenschaftskolleg. Die internatsartige Atmosphäre des Zusammenlebens, verwoben mit der Intensität der persönlichen und wissenschaftlichen Kontakte und Diskussionen und das alles über einen langen Zeitraum, verändert nahezu jeden, der dies erfahren und daran wachsen darf.


Springen Sie direkt: zur Hauptnavigation zum Seitenanfang