Depression, Demenz, Sucht und Psychose: Die neuen Volkskrankheiten besser verstehen

 

 

Publikum

 

Die Diagnose „psychisch krank“ ist für viele Betroffene und ihre Angehörige zunächst ein Schock. Mehr über die Hintergründe der Erkrankung zu erfahren, kann Vorurteile und Ängste abbauen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) veranstaltete deshalb am 16. Juni 2011 das 10. Hauptstadtsymposium zum Thema "Psychisch krank – warum?  Die neuen Volkskrankheiten besser verstehen". Experten erläuterten an den Beispielen Depression, Demenz, Sucht und Psychose, wie psychische Erkrankungen entstehen und informierten über Diagnose- und Therapiemöglichkeiten.

 

Fast die Hälfte aller Menschen leiden im Laufe ihres Lebens einmal an einer psychischen Erkrankung. Tendenz steigend: Nach Hochrechnungen der Weltgesund-heitsorganisation (WHO) werden in den Industrieländern im Jahr 2030 fünf der zehn mit den stärksten Beeinträchtigungen verbundenen Erkrankungen (Global Burden of Disease) aus dem Bereich der Psychiatrie stammen: Dazu zählen Depression, Alkoholabhängigkeit, Demenz, Schizophrenie und Bipolare Störungen. Mit den in den letzten Jahren stark gestiegenen Behandlungsfällen nehmen auch die Gesundheitskosten im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie zu. Die direkten Krankheitskosten durch psychische Erkrankungen betrugen nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2008 etwa 29 Milliarden Euro.  „Psychische Erkrankungen sind längst  zu Volkskrankheiten geworden. Der Unterschied zu anderen weit verbreiteten Krankheiten wie beispielsweise Bluthochdruck oder Diabetes mellitus  ist, dass sie Alt und Jung gleichermaßen treffen. Das müssen wir stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken“, so DGPPN-Präsident Professor Peter Falkai. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) veranstaltete deshalb am 16. Juni 2011 ihr 10. DGPPN-Hauptstadtsymposium zum Thema „Psychisch krank – warum? Die neuen Volkskrankheiten besser verstehen“ in Berlin. Über 80 Berlinerinnen und Berliner waren der Einladung der Fachgesellschaft gefolgt.

 

 

Ich sehe alles grau, bin ich krank?

Professor Ulrich Voderholzer von den Schön Kliniken Roseneck ging in seinem Vortrag „Ich sehe alles grau, bin ich krank?“ auf das Krankheitsbild der Depression ein. Depressionen äußern sich durch den Verlust an Interesse und Lebensfreude, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit oder Suizidgedanken. Die Beschwerden müssen üblicherweise länger als zwei Wochen andauern, um als Depression zu gelten. Oftmals werden sie von vielfältigen körperlichen Symptomen wie Kopfdruck, Magen- und Darmbeschwerden oder einem Engegefühl im Brustbereich begleitet. Das mache es nicht einfach, eine Depression als solche zu erkennen, so Voderholzer. Menschen bei denen im familiären Umfeld bereits Depressionen aufgetreten sind oder die in ihrer Kindheit Gewalt erfahren haben, hätten ein höheres Risiko, später an einer Depression zu erkranken. Aktuelle psychosoziale Belastungen, wie drohender Arbeitsplatzverlust oder Probleme in der Partnerschaft, könnten zudem eine depressive Episode auslösen. Mehr als die Hälfte der Betroffenen befinde sich aber nicht in Behandlung. Voderholzer führt dies darauf zurück, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen immer noch in der Gesellschaft stigmatisiert und ausgegrenzt werden. Dies lasse viele zögern, sich psychiatrisch-psychotherapeutische Hilfe zu suchen. Dabei sei eine Depression in der Regel gut behandelbar. Die geringste Rückfallquote erziele man mit einer Kombination aus Pharmako- und Psychotherapie.

 

 

Demenz: Wieviel Vergessen ist normal?

Professor Wolfgang Maier von der Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn behandelte in seinem Vortrag „Demenz: Wieviel Vergessen ist normal?“ den Alterungsprozess des Gehirns. So sei es ganz normal, wenn Neugedächtnisleistungen ab dem fünfzigsten Lebensjahr abnehmen würden. Gesunde Gehirne hätten Strategien entwickelt, um den Leistungsabbau zu kompensieren. Zudem können körperliche Aktivitäten, gesunde Ernährung, ein gutes soziales Netzwerk sowie positive Emotionen helfen, die Erinnerungsleistung des Gehirns im Alter zu erhalten und zu fördern. Der Abbau an Gedächtnisleistung, der mit dem natürlichen Alterungsprozess einhergeht, sei deutlich von dem einer Demenzerkrankung zu unterscheiden. Oftmals dauere es Jahre, bis eine neurodegenerative Krankheit erkannt werde. Es gäbe derzeit intensive Forschungsbemühungen, diese Krankheiten frühzeitig zu diagnostizieren und zu behandeln. Auch wenn die Demenz derzeit nicht heilbar sei, sei es Betroffenen mit der richtigen Betreuung möglich, ein würdiges Leben zu führen, betonte Maier. Ein wichtiger Aspekt sei beispielsweise die Betreuung innerhalb der Familie. Studien hätten ergeben, dass die Unterbringung von Demenzkranken in Pflegeheimen zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes führe. Auf die Gesellschaft komme angesichts steigender Erkrankungsfälle eine große Aufgabe zu, so Maier abschließend.

 

 

Sucht: Wenn aus dem Elixier des Lebens ein Fluch wird

Professor Andreas Heinz von der Charité Campus Mitte widmete sich in seinem Vortrag „Sucht: Wenn aus dem Elixier des Lebens ein Fluch wird“ vornehmlich der Alkoholsucht. In Deutschland gibt es über zehn Millionen Menschen mit riskantem Alkoholkonsum. Davon gelten zwei Millionen Menschen als abhängig. Lediglich zehn Prozent der Betroffenen befinden sich derzeit in Behandlung. Das liege unter anderem daran, dass Alkoholismus für viele eine Art Kavaliersdelikt sei, so Heinz. Auch sei der Entzug für viele Betroffenen nicht einfach. Habe man diesen geschafft, machten es beispielsweise der leichte Zugang zu Alkohol oder Werbung den Betroffenen schwer, abstinent zu bleiben. Heinz rät daher, nach einem Entzug  in der Klinik sich Hilfe bei Beratungsstellen, Rehabilitationseinrichtungen oder Selbsthilfegruppen zu suchen und ständig an sich zu arbeiten. In einer Therapie gehe es darum, die einmal erlernten Verhaltensmuster als problematisch zu erkennen und dann aufzubrechen, sagte Heinz. Aufgrund der verminderten Lernleistung von Alkoholikern sei dies ein langwieriger Prozess, der viel Geduld von den Betroffenen, aber auch von den Angehörigen erfordere.

 

 

Psychosen: Wenn fremde Bilder und Stimmen das Leben beherrschen

Den Abschluss der Veranstaltung machte DGPPN-Präsident Professor Peter Falkai vom Universitätsklinikum Göttingen mit seinem Vortrag „Psychosen: Wenn fremde Bilder und Stimmen das Leben beherrschen“. Etwa ein Prozent der Bevölkerung leidet unter schizophrenen Psychosen. Damit sei diese zwar eine relativ seltene Erkrankung, aber etwa zehn Prozent der Normalbevölkerung hätten psychotisches Erleben, sagte Falkai. Schizophrene Psychosen treten häufig im jungen Erwachsenenalter das erste Mal auf, haben aber einen mehrjährigen Vorlauf. Diese Erkrankung müsse frühzeitig entdeckt und konsequent behandelt werden, ansonsten sei die Prognose schlecht, so Falkai. Für das Entstehen der Krankheit sei eine Mischung aus genetischen Faktoren und Umweltfaktoren verantwortlich. In diesem Zusammenhang warnte Falkai nachdrücklich vor Cannabiskonsum. Dieser könne Psychosen auslösen. Die Schizophrenie zähle zu den Erkrankungen, die am meisten stigmatisiert seien und die die Lebensführung stark beeinträchtigten. Nichtsdestotrotz seien schizophrene Psychosen effektiv durch Pharmako- und Psychotherapie behandelbar.

Die DGPPN als Partner des Wissenschaftsjahres 2011

Mit ihrer kostenfreien Veranstaltung, die im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2011 „Forschung für unsere Gesundheit“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) stattfand, nimmt die DGPPN ihre gesellschaftliche Aufgabe wahr, Informations- und Aufklärungsarbeit über psychische Erkrankungen zu leisten. In diesem Jahr bietet die DGPPN weitere Veranstaltungen für die interessierte Öffentlichkeit an. Beim  Schülerkongress am Mittwoch, den 23. November 2011, diskutieren Berliner Schüler mit Experten von 14 bis 15.30 Uhr über die Themen „Ich habe so einen Hass: Wie mit Aggressionen umgehen?“, „Immer nur Schule! Wie mit Stress und Prüfungsangst umgehen?“ sowie „Mobbing und Stalking: Wo fängt es an?“. Darüber hinaus erfahren Lehrer am Donnerstag, den 24. November 2011 von 15 bis 17 Uhr, wie sie mit Burnout und Überforderung umgehen können oder wie sie Posttraumatische Belastungsstörungen bei Schülern erkennen können.  Interessierte Berliner finden am Samstag, den 26. November 2011, Antworten auf die Frage: Macht Arbeit krank? Psychische Belastungen am Arbeitsplatz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Eintritt zu den jeweiligen Veranstaltungen ist frei.

Weitere Informationen: 

Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)

 

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