„Der wichtigste und komplizierteste Ansatz ist, die Keimmenge schon beim Tier zu reduzieren.“

 

Porträt Prof. Wieler FU Berlin, Veterinärmedizin

Für die EHEC-Welle in Deutschland gibt es von den Behörden noch keine Entwarnung. Univ.-Prof. Dr. Lothar H. Wieler, Institut für Mikrobiologie und Tierseuchen der Freien Universität Berlin, ist Koordinator des Forschungsverbunds FBI-Zoo (Food-Borne Zoonotic Infections of Humans) und beschäftigt sich mit zoonotischen, d.h. von Tieren auf Menschen übertragenen Lebensmittelinfektionserregern, deren Bedeutung für die menschliche Gesundheit in Zukunft noch größer werden wird.

 Prof. Wieler, wie schätzen Sie die Lage allgemein ein?  Ist der EHEC-Ausbruch auch für Behörden, medizinische Einrichtungen und Forschungsinstitute so überraschend, wie für die Bevölkerung?

Prof. Dr. Lothar Wieler: Wir wissen, dass diese Erreger in Tieren, insbesondere in Wiederkäuern, häufig vorkommen. Daher ist es prinzipiell immer möglich und auch keine Überraschung für Gesundheitsbehörden, Ärzte und Diagnostiker, wenn es zu Infektionen kommt.  In den letzten Jahren wurden eine Meldepflicht für EHEC eingeführt sowie Diagnostika entwickelt, die es den Laboren ermöglichen, den Erreger zu identifizieren. Was aber sehr überraschend ist, ist die Größe und der Umfang des aktuellen Ausbruchs. Auch die große Zahl der Komplikationen, insbesondere des hämolytisch-urämischen Syndroms beim Menschen, haben wir bisher in Deutschland definitiv noch nicht gesehen.

Wenn die Übertragung über leicht verderbliche Lebensmittel stattfand, ist dann die Dauer des Ausbruchs und die Ausbreitung bereits als überschaubar abzusehen?

Prof. Dr. Lothar Wieler: Der Ausbruch wird natürlich irgendwann vorbei sein – und das wichtigste ist auch zur Zeit, dass nicht noch mehr Menschen infiziert werden. Die verunreinigten Lebensmittel selbst befinden sich wahrscheinlich aufgrund ihrer geringen Haltbarkeit nicht mehr im Handel.
Auch sind die Menschen vorsichtig beim Konsum der vom Robert-Koch-Institut als mögliche Ursache eingestuften Lebensmittel und gehen bei Beschwerden  rascher zum Arzt. Wie jeder Ausbruch hat also auch dieser eine zeitliche Dimension, mit einem Höhepunkt und einem Abflachen der auftretenden Fälle. Die Sekundärausbrüche, also die Ansteckung direkt von einem erkrankten Menschen ist, besonders in Gemeinschaftseinrichtungen wie Altersheimen oder Kindergärten oder in der Familie möglich, spielt aber epidemiologisch für die große Ausbreitung der Erkrankung keine erhebliche Rolle.

Um die Möglichkeiten der Forschung und der Prävention überhaupt verstehen zu können: der EHEC-Erreger ist für die Tiere, die das Bakterium in sich tragen, ungefährlich?

Prof. Dr. Lothar Wieler: Das ist genau die große Problematik, die die Bekämpfung solcher Erkrankungen erheblich erschwert. Die Erreger kommen in sehr vielen verschiedenen Varianten des Bakteriums Escherichia coli vor und es ist sehr schwierig, diese alle zu erkennen bzw. deren biologisches Verhalten in den Wiederkäuern aufzuklären. Beim Wiederkäuer gehört die E. coli-Unterart EHEC  zur ganz normalen Darmflora und löst dort keine Krankheit aus. Genau das erschwert  eine Intervention: Der Erreger gehört zu einer Gruppe von Darmbakterien, die immer vorkommen und von denen es auch Varianten gibt, die gar nicht bösartig und auch für den Menschen ungefährlich sind. Wir wollen also einen Erreger bekämpfen, der Teil des natürlichen Super-Organismus des Tieres ist und dort keine Krankheit verursacht. Solch einen Erreger zu bekämpfen  ist sehr schwierig. Der wichtigste Ansatz, um die Gefahren durch solche Erreger einzudämmen, bleibt dennoch der komplizierte Versuch, die Keimmenge schon beim Tier zu reduzieren. Aber hierzu fehlen in Deutschland auch genügend Stallkapazitäten, denn innovative durch wissenschaftliche Hypothesen getriebene EHEC-Infektionsversuche mit Rindern erfordern eine hohe Sicherheitsstufe mit enormen Folgekosten für uns Wissenschaftler. Uns fehlt es hier schlicht an Stallungen, also an materiellen Ressourcen.

Was muss getan werden , um solche Ausbrüche in Zukunft zu verhindern?

Prof. Dr. Lothar Wieler: Man hat den Weg gewählt, hauptsächlich die Lebensmittelsicherheit stark zu erhöhen. In diesem Bereich ist man auch sehr erfolgreich in den letzten Jahren, wie die Seltenheit solcher Ausbrüche zeigt. Ein weiterer Weg, an dem wir auch sehr intensiv zusammen mit Humanmedizinern und Lebensmittelmikrobiologen in unserem Forschungsverbund FBI-Zoo arbeiten, ist die Diagnostik. Wenn man den aktuellen Ausbruch betrachtet, dann wird klar, dass die Schnelligkeit der Erregerdiagnostik nicht optimal war. Das liegt unter anderem daran, dass dieser Erreger in so vielen verschiedenen Varianten vorkommt, weshalb er mit einfachen labortechnischen Methoden nicht zu bestimmen ist und es auch keinen kommerziell verfügbaren Test für den Nachweis aller EHEC-Varianten  gibt. Dessen Entwicklungschancen wachsen mit zunehmender Kenntnis der EHEC-Varianten, aber ein einfacher Test ist nach wie vor nicht absehbar. Hier herrscht noch großer Forschungsbedarf.

Wir haben bisher in der Diagnostik Tests zur Verfügung, mit dem das vom Erreger produzierte Shiga-Toxin nachgewiesen wird um somit auf EHEC rückzuschließen – aber Shiga-Toxine können von verschiedenen EHEC-Erregern gebildet werden – sie sind keiner spezifischen EHEC-Variante zuzuordnen. Um die Bakterien selbst zu isolieren, muss händisch viel gearbeitet werden, das braucht Erfahrung und Aufwand. Aber nur dann kann nach Auftreten der ersten Krankheitsfälle zügig diagnostiziert und reagiert werden. Nur über eine genotypische Charakterisierung der EHEC-Isolate ist die Aussage möglich, ob es sich bei verschiedenen Isolaten von verschiedenen Patienten um denselben Stamm handelt, also um ein- und denselben Ausbruchsstamm. Ein weiterer Schritt ist anschließend eine schnelle Weiterleitung der Information an die Behörden, damit ein Ausbruch überhaupt erkannt werden kann. An dieser Stelle ist in Deutschland der IT-seitige Automatisierungsgrad nicht sehr ausgeprägt. Das heißt, der Prozess Diagnostik-Meldung kann noch optimiert werden, so dass auch die Intervention rascher erfolgen kann. Da sehen wir, neben der Forschung direkt am Rind, eine ganz wichtige Aufgabe.