"Jeder, der morgens vom Wecker geweckt wird, hat noch nicht genug geschlafen."

 

Der Zustand des Schlafens beschäftigt die Menschen seit jeher. Ist Schlafen ein aktives Handeln oder nur das passive Verschwinden des Wachzustandes, wie dies vor mehr als 2000 Jahren der römische Schriftsteller Lucretius annahm? Auch heute versucht der junge Zweig der Schlafforschung und Schlafmedizin Antworten rund um das Phänomen des Schlafes zu finden. So beschäftigen sich die Wissenschaftler und Ärzte unter anderem mit den Prozessen, die während der nächtlichen Ruhephase in Hirn und Körper ablaufen, mit den Auswirkungen von Schlafstörungen auf den Organismus sowie den Wechselwirkungen zwischen den Zuständen des Schlafens und des Wachens. Das Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung sprach mit Dieter Kunz, Abteilung für Schlafmedizin des St. Hedwig Krankenhauses in Berlin, über den Schlaf.

Dr. Kunz, verlernen wir im Alltagsstress der modernen Gesellschaft, auf das natürliche Schlafbedürfnis unseres Körpers zu hören?

Dieter Kunz: Viele Studien zeigen, welche wirklich wichtige und dennoch unterschätzte Bedeutung der Schlaf hat. Jedes Kleinkind weiß: „Wenn ich jetzt nicht ins Bett gehe, bin ich morgen nicht frisch, um mit Oma zu spielen.“ Wir Erwachsenen jedoch beachten das nicht mehr. Im Grunde ist es ganz einfach: jeder, der morgens vom Wecker geweckt wird, hat ganz offensichtlich noch nicht aus- und damit noch nicht genug geschlafen. Und wenn man das mehrfach hintereinander tut, muss man sich tagsüber kaum wundern, wenn man unausgeschlafen ist und die Leistungsfähigkeit nicht optimal.

Wie negativ kann sich Schlafmangel denn auf die Gesundheit auswirken?

Dieter Kunz: Wir wissen sehr genau, dass ein chronischer Schlafentzug – ob durch eigenes Verhalten verantwortet oder durch Störungen des Schlafes ausgelöst, ganz enorme Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Das reicht von psychiatrischen Erkrankungen wie Depression, Abhängigkeits- und Angsterkrankungen über Infektionserkrankungen bis hin zum metabolischen Syndrom mit Bluthochdruck, Diabetes und Fettleibigkeit.

Was ist das schwierige daran, aus schlafmedizinischer Sicht zu helfen?

Dieter Kunz: Jeder ist insofern Schlaf-Experte, weil er jede Nacht schläft und daher glaubt genau zu wissen, woran Störungen liegen und was es zu tun gilt. Im krassen Gegensatz dazu steht: woher soll der Mensch wissen, was da nachts passiert – er schläft doch. Die Schwierigkeit, Schlafstörungen zu behandeln liegt also in der Natur der Sache: der Patient kann, wenn er sonst mit Beschwerden zum Arzt kommt, schildern, wo er Schmerzen hat, dass er vergesslich ist, dass er deprimiert ist oder sonstiges. Über die schlafbezogene Symptomatik aber kann er nichts sagen, außer: „Ich fühle mich morgens so, als ob ein LKW über mich drüber gefahren ist. Aber wenn ich ehrlich bin, hab ich ihn gar nicht kommen hören.“ Der Patient weiß eben nicht, was nachts passiert. Das einzige, was er neben Ein- und Durchschlafstörungen berichten kann, ist, dass er sich unerholt fühlt. Wenn wir den Patienten dann ins Labor legen und das Schlafverhalten überwachen, sind die Menschen häufig überrascht, wenn wir ihnen mitteilen, was da im Laufe der Nacht eigentlich passiert ist. Ein zweiter wichtiger Gesichtspunkt ist, dass wir eine flächendeckende Versorgung neurologisch-psychiatrisch orientierter Schlafmedizin in Deutschland brauchen.

Die Forsa-Umfrage des Wissenschaftsjahres ergab, dass ein Drittel der Befragten bei Schlafstörungen zum Buch greift. Kann das wirklich helfen beim Einschlafen?

Dieter Kunz: Dieses Verhalten hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Wacht jemand nachts auf, weil er unruhig ist, ihn etwas beschäftigt, er nachdenkt und grübelt, wird er durch das Lesen abgelenkt, kommt eher wieder zur Ruhe und schläft schneller ein. Die Problematik dabei ist jedoch das Licht, das wir anmachen und das den Körper verwirrt. Wir erkennen erst in den letzten Jahren, welch dramatische Bedeutung eigentlich Licht und Dunkelheit auf den menschlichen Körper haben. Der Mensch war in den letzten vier Millionen Jahren gewohnt, draußen zu sein – wo uns tagsüber mit 10.000 bis 100.000 Lux Beleuchtungsstärke sehr helles Licht umgab und in der Nacht war es dann quasi schwarz. Licht ist also seit jeher für den Körper ein Wachsignal. Eine Ratte hingegen, die nachtaktiv ist, schläft sofort ein, wenn man ihr eine Lampe hinstellt. Daran sieht man deutlich, welchen Einfluss Licht haben kann. Wir wissen mittlerweile, dass der Mensch, der tagsüber nicht mehr im ursprünglichen Sinne „draußen“ ist, eigentlich in biologischer Dunkelheit lebt. Eigene Studien zeigen, wir bekommen am Tage im Schnitt weit weniger als 100 Lux, nicht mehr 100.000. Zusätzlich ist es nachts an sich schon kaum mehr komplett dunkel. Machen wir bei Schlafstörungen noch eine Lampe an, gerade dann, wenn die Sensitivität der Netzhaut besonders hoch ist, hat das einen enorm störenden und biologisch messbaren Einfluss. Das heißt, es ist eher nicht gut um wieder in den Schlaf zurückzufinden. Auf der anderen Seite wissen wir, dass viel helles Licht am Tage – gerade in den Morgenstunden zum Einen den Nachtschlaf verbessert, zum Anderen den störenden Einfluss von Licht in der Nacht reduziert.

 


Mehr Informationen:

Deutsche Gesellschaft für Schlaforschung und Schlafmedizin (DGSM)

Abteilung für Schlafmedizin im St. Hedwig-Krankenhaus der Charité, Berlin