Frage des Monats

Das Wissenschaftsjahr 2015 – Zukunftsstadt bot eine Plattform, um kontrovers über Wege der nachhaltigen Stadtentwicklung zu diskutieren. In dieser Rubrik konnten Sie mitdebattieren und auch in den Sozialen Medien Ihre Antworten auf einige Fragen zur Zukunftsstadt geben. Hier erfahren Sie, was Experten denken.

Die Frage lautet: „Sollten Innenstädte, zur Sicherheit der Bürger, flächendeckend mit Videokameras überwacht werden?"

Pro

Nach dem gescheiterten Bombenanschlag im Hauptbahnhof von Bonn (2012) ermittelte der DeutschlandTrend für die ARD, dass 81 Prozent der Deutschen eine verstärkte Videoüberwachung wünschten. Hohe Zustimmung für eine Ausweitung der Videoüberwachung (71 Prozent) stellte auch Emnid Anfang dieses Jahres nach dem Attentat auf „Charlie Hebdo" fest. Mit Blick z. B. auf das Attentat von Boston 2013 kamen auch von vielen politischen Vertretern Forderungen nach mehr Videoüberwachung auf.

Technisch ist eine weiträumigere und, durch automatische Auswerteverfahren, auch intelligentere Videoüberwachung möglich. Zudem reifen technische Lösungen heran, um den Schutz der Persönlichkeitsrechte und die Forderung nach Transparenz wesentlich besser als bisherige, veraltete Sicherheitssysteme schon beim Systementwurf zu berücksichtigen („Privacy by Design").

Es ist der Gesetzgeber gefragt, sich einen Einblick in die heutigen und absehbaren technischen Möglichkeiten zu verschaffen, um sinnvolle Entscheidungen im Einklang mit dem Datenschutz und mit Respekt vor der informationellen Selbstbestimmung zu fällen.

Über den Autor

Portraitofoto von Markus Müller

Markus Müller studierte Informatik/Computer Science an der Technischen Universität Kaiserslautern sowie an der University of Adelaide S.A. und schloss das Studium mit einer Arbeit am „Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz" (DFKI) als Diplom-Informatiker ab. Promoviert hat er am „Karlsruher Institut für Technologie" (KIT) im Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik mit einer Arbeit über die Erkennung von Auffälligkeiten in Bildern zum Dr.-Ing. In seiner Abteilung „Videoauswertesysteme" (VID) am Fraunhofer „Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung" (IOSB) werden Verfahren der Mustererkennung und Bild-/Videoauswertung für die Anwendungsbereiche Health & Care, Sicherheit, Aufklärung und Objekt-/Umfelderfassung entwickelt. Seit 2012 ist er Sprecher des Geschäftsfelds „Zivile Sicherheit" des IOSB.


Contra

Eine anlasslose, flächendeckende Videoüberwachung ist nicht verhältnismäßig und daher verfassungswidrig. Sie verhindert keine Verbrechen, da sie nicht abschreckt und keine ausreichenden Einsatzkräfte ständig zur Verfügung stehen. Zur Strafverfolgung ist sie nicht erforderlich, da, wie der Bombenanschlag in Boston zeigt, die Polizei meist mit ausreichend privaten Aufnahmen versorgt werden kann. Sie greift jedoch tief in die Grundrechte aller Bürger ein. Für das Bundesverfassungsgericht ist sie nur grundrechtskonform, „wenn für sie ein hinreichender Anlass besteht" und sie zu diesem eine räumliche und zeitliche Beziehung hat. Das Bundesverfassungsgericht zählt die Freiheit, in seiner Freiheitswahrnehmung nicht total erfasst zu werden, „zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland". Eine Gesetzgebung, „die auf eine möglichst flächendeckende vorsorgliche Speicherung aller für die Strafverfolgung oder Gefahrenprävention nützlichen Daten zielte, wäre [...] mit der Verfassung unvereinbar".

Über den Autor

Portraitfoto von Prof. Dr. Alexander Roßnagel

Prof. Dr. Alexander Roßnagel ist Direktor des Forschungszentrums für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) an der Universität Kassel. Außerdem lehrt er Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Recht der Technik und des Umweltschutzes am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Kassel.

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Kommentare (1)

  1. Feli
    Feli am 02.06.2015
    KaFokus Innenstadt Karlsruhe:
    Auf welche Arten können Menschen noch überwacht werden? Über das Internet? Über das Telefon? Auf dem Weg zum Supermarkt?
    Im Fokus steht immer die Sicherheit des nicht kriminellen.
    Es wird allerdings vergessen, welche Grundgesetze herrschen. Was war da nochmal mit Freiheit?
    Man könnte alles wie einen Hochsicherheitstrakt aussehen lassen, aber Wahrheit ist, dass sich dann keiner mehr wohlfühlen wird.
    Lustigerweise erinnert mich dieser Plan an die SS-Zeiten (ich hab in Geschichte aufgepasst).
    Die Polizei soll einfach mehr Reviere bekommen und schneller zur Stelle sein. Kriminale Gedanken kann man nicht aufhalten: am Ende hackt noch jemand die Kameras...