Integration 4.0 – Bremen-Gröpelingen wird arrival-quarter

Um es vorweg zu sagen: Von Integration spricht im Bremer Stadtteil Gröpelingen kaum jemand mehr. Ein alter Hut – zumindest wenn man darunter versteht, wie Zugewanderte in die sogenannte Mehrheitsgesellschaft integriert werden könnten. Hinter dieser Idee von Integration steckt immer noch die Vorstellung, es gäbe ein Zurück zu Zeiten, als Zuwanderer vor allem als „Gäste“ angesehen wurden.

Personen bei der Eröffnung des Morgenlands
©R. Menke

Heute ist der ehemalige Hafen- und Werftenstandort ein Arrival-Quarter mit Bewohnern aus mehr als 170 Nationen und über 70 gesprochenen Sprachen. Arrival-Quarter – das bedeutet, der Stadtteil ist ein typischer Ankunftsstadtteil, in dem täglich Arbeitssuchende aus Südosteuropa, Neuzuwanderer und Flüchtlinge aus aller Welt ankommen. Oft über Mund-zu-Mund-Propaganda wird der Stadtteil als ein Ort empfohlen, an dem Einwanderer sprachlich, sozial und kulturell zahlreiche Anknüpfungspunkte finden können. Niedrige Mieten und die Normalität von Vielfalt sind weitere attraktive Faktoren.

Das allein garantiert aber noch keine gesellschaftliche Teilhabe. Damit der Stadtteil keine soziale Sackgasse wird, haben sich die Akteure zu einem Bildungsnetzwerk zusammengeschlossen und wurden darin von der Kommune intensiv unterstützt. Mit dem Bundesprogramm „Lernen vor Ort“ konnte Bremen das lokale Netzwerk im Rahmen des kommunalen Bildungsmanagements professionalisieren und eine systematischere Anbindung an kommunale Entscheidungsprozesse ermöglichen.

Über den Autor

Lutz Liffers

Lutz Liffers hat als Mitarbeiter der Senatorin für Bildung und Wissenschaft eine Projektgruppe im BMBF-Programm „Lernen vor Ort“ Bremen/Bremerhaven geleitet. Zurzeit arbeitet er für die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung Berlin und leitet die im Rahmen der BMBF-Initiative „Transferagenturen Kommunales Bildungsmanagement“ enstandene Transferagentur für Großstädte.

Gemeinsam verband alle die Idee, dass Einrichtungen vor Ort ihre Arbeitsabläufe, ihre Kooperationen, ihr fachliches Selbstverständnis verändern müssen, kurz: Die Institutionen an die neuen Bedingungen im Stadtteil angepasst werden müssen und nicht umgekehrt. In Entwicklungsgruppen und konkreten Projekten wurden neue Modelle der Zusammenarbeit erprobt – horizontal zwischen Schule, Kita, Stadtteileinrichtungen, Ausbildungsbetrieben, Moscheen und anderen Partnern – aber auch vertikal zwischen Fachverwaltung und Stadtteil. Denn es geht bei solchen Prozessen nicht ums „Durchsteuern von oben“, sondern um „educational governance“, also einer der Komplexität des Bildungsgeschehens angemessenen Abstimmungs- und Koordinierungsstruktur. Übrigens ist dabei „vertikal“ der schwierigste Teil des gesamten Vorhabens, da die verschiedenen Fachressorts anderen Handlungslogiken folgen, als es die Akteure vor Ort tun. Deshalb bestand eine wichtige Aufgabe darin herauszufinden, welche gemeinsamen Gremien und Abstimmungsmodialitäten zwischen den Fachressorts der Kommunalverwaltung, der Ortspolitik und Einrichtungen vor Ort aufgebaut werden können, um die Systematisierung der lokalen Bildungslandschaft als Querschnittsaufgabe gestalten und steuern zu können. Ein weiterer wichtiger Arbeitsschritt war der Aufbau einer Bildungsberichterstattung, die valide Bildungsdaten für die konkreten Stadtteile erbbrachte und damit Handlungsbedarfe und Handlungsmöglichkeiten aufzeigte.

Besonderes Augenmerk verdient der Ansatz der Gröpelinger Einrichtung Kultur Vor Ort e.V. im Schnittfeld von Stadtentwicklung, Bildung und Kultur. Die Entwicklung und Aufwertung von urbanen Orten und Gebäuden wurde systematisch verknüpft mit der Entwicklung von Bildungsstrukturen. Entstanden ist nicht nur ein starkes Bündnis für die Verzahnung von kultureller mit (vor-)schulischer Weiterbildung, sondern auch neue temporäre und dauerhafte Typen von Bildungsorten im Quartier wie das internationale Erzählfestival Feuerspuren oder mobile Werkstätten an Schulen und Kitas, ein ApfelKulturParadies inmitten einer städtischen Ausgleichsfläche oder das Atelierhaus Roter Hahn in einer alten Feuerwache – alles Orte, an denen die systematische Kooperation der Stadtteileinrichtungen für das Lernen im Lebenslauf vorangetrieben wird.

Ein Kernstück der Bildungslandschaft ist das neu gebaute Quartiersbildungszentrum Morgenland, eine durch die EU geförderte gemeinsame Initiative des Bildungs-, Sozial- und Stadtentwicklungsressorts. Das Profil des Hauses wurde in einem mehrjährigen Beteiligungsprozess von Fachleuten aus Quartier und Verwaltung entwickelt. Das Stadtteilmanagement Soziale Stadt, die neue aufsuchende Bildungsberatung und das Lokale Bildungsbüro entwickeln und qualifizieren die Kooperationsstrukturen. Ein besonderes Ergebnis langjähriger Zusammenarbeit ist das von Kultur Vor Ort e.V. aufgebaute „MO43“, die „Werkstatt für Wort und Sinn“. Hier wird mit künstlerischen und kulturellen Methoden, flankierend zum schulischen Unterricht oder zu den Integrationskursen, Sprachbildung für Kinder und Eltern betrieben. Gleichzeitig ist die Werkstatt mit ihrer praktischen Arbeit auch ein Transmissionsriemen für die Qualifizierung von Kooperationen und stärkt die Strategie des community building, der Gemeinschaftsbildung.

Um Missverständnisse auszuräumen: Arrival-Quarter ist keine Insel der Seligen, sondern bedeutet Konflikt, Widersprüche und eine hohe Veränderungsdynamik. Die Antwort der Kommune und der Akteure vor Ort ist die systematische Entwicklung integrierter Ansätze. Von diesen Erfahrungen können andere Kommunen profitieren: Die Transferinitiative des BMBF ermöglicht bundesweit den fachlichen Austausch zu und den Transfer von Ergebnissen, Erfahrungen und Modellen, die im Rahmen des Bundesprogramms „Lernen vor Ort“ entstanden sind. Die lokale Bildungslandschaft Gröpelingen können interessierte Kommunen übrigens beim Fachgruppentreffen „Lokales Bildungsmanagement“ der Transferagentur für Großstädte im Dezember 2015 in Bremen kennenlernen.

Informationen zur Bildungslandschaft Gröpelingen: www.kultur-vor-ort.com

Lokales Bildungsbüro Gröpelingen / Quartiersbildungszentrum: frauke.koetter(at)schulverwaltung.bremen.de
Kontakt: lutz.liffers(at)transferagenturen-grossstaedte.de

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2015 – Zukunftsstadt.

Metadaten zu diesem Beitrag

Schlagworte zu diesem Beitrag:

  • #Stadt
  • #Wohnen
  • #Bauen
  • #Bremen
  • #Bundesministerium für Bildung und Forschung

Mehr zum Themenfeld:


Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!