Keine Zukunft ohne Land!

Ein Debattenanstoß

Ein einsamer Heuballen durchweht die verlassene Hauptstrasse eines typischen deutschen Dorfes. Er verfängt sich schließlich im verrosteten Rollator, den die Heilsarmee bei der Räumung der letzten Hinterbliebenen achtlos zurückließ. Zugegeben, platter Einstieg – aber das Szenario verlassener Landstriche ist wahrlich nicht mehr unrealistisch. Ja, die ländlichen Regionen sind in öffentlichen Diskussionen der hässliche kleine Bruder der vor Glanz und Marketing-Kraft strotzenden Smart-City-Konzepte großer IT-Unternehmen. Aber wie sieht die deutsche Realität aus? Zwei entscheidende Trends werden die Zukunft der Deutschen Dörfer bestimmen: der demographische Wandel und die Digitalisierung. Beides lässt sich nicht ignorieren.

©Max Topchii/Shutterstock

Gemäß EU-Klassifikation lebt gerade mal ein Drittel der deutschen Bevölkerung städtisch. Wie will man also eine Zukunft für Deutschland gestalten, wenn man sich einzig und allein auf die Städte konzentriert? Vollkommen zu Recht gilt es, die ländlichen Regionen auf die politische Agenda zu hieven. Das bedeutet, annähernd gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, die dem städtischen Leben wieder eine echte alternative Lebens- und Arbeitsform gegenüberstellt, die alle Generationen umfasst. Familien ziehen dort hin, wo eine lebenswerte Zukunft erreichbar scheint und wo Arbeit ist. Unternehmen siedeln sich dort an, wo neben der nötigen Infrastruktur (Breitband!) qualifizierte Mitarbeiter sind - diese Interdependenz zu gestalten, wird der Schlüssel zur Vitalisierung, um die Stadtflucht zu bremsen.

Über den Autor

Portraitfoto Gerald Swarat

Gerald Swarat ist Historiker und hat für das Internet & Gesellschaft Collaboratory die Initiative „Smart Country - Digitale Strategien für Regionen" geleitet. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IESE mit Koordinationsaufgaben in der Smart-Rural-Areas Initiative. Sein Schwerpunkt liegt auf dem Projekt „Digitale Dörfer" mit dem Land Rheinland-Pfalz.

Die Digitalisierung macht den Unterschied

Die Regionen haben das Potential, Vorreiter zu werden. Und zwar in innovativen Schul-, Fortbildungs- und Arbeitsformen oder mit vernetzten Mobilitäts- und Logistikonzepten und in der Integration neuer Softwaretechnologien in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Prävention. Gerade diese sind so wichtig im Angesicht der Alterspyramide. Als Stichworte seien hier „mobility on demand" (Mobilität auf Abruf) per Smartphone durch Verbindung verschiedener Verkehrsmittel und Sharing-Plattformen genannt. Es geht aber ebenso um Möglichkeiten für Co-Working-Center (gemeinschaftlich genutzte Büroräume), innovative, mobile und individuelle Einkaufskonzepte, Assisted-Ambient-Living-Technologien (Altersgerechte Assistenzsysteme für ein selbstbestimmtes Leben), Smart Wearables (intelligente Kleidungsstücke) im Gesundheitsbereich, die z. B. stationäre Aufenthalte ersetzen und vieles mehr. Wenn die Innovationen nah am Menschen bleiben, Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit gewährleistet sind, sie betriebswirtschaftlich sinnvoll sind und vom bürgerschaftlichem Engagement getragen werden – dann werden sie erfolgreich, dann wird eine nachhaltige Renaissance der Region möglich sein.

Jede Transformation birgt Ängste und Sorgen und deshalb können technologischer Fortschritt und gesellschaftliche Verantwortung nur Hand in Hand gehen. Ohne Zweifel, das erfordert eine intensive Kommunikationskultur. Es können allein die Vernetzung aller Akteure und die breitgeführte, gesamtgesellschaftliche Debatte helfen, um ein Bewusstsein zu erwirken und Druck auf die Politik auszuüben. Die Initiative Smart Country hat die Debatte erfolgreich initiiert und durch den multiperspektivischen Ansatz in die Breite getragen. Der Begriff ist nun im politischen Berlin angekommen und sogar bis nach China gedrungen. Lassen Sie uns die Plattformen des Wissenschaftsjahres zum interdisziplinären Dialog nutzen und die Herausforderungen der ländlichen Regionen in den Fokus zu rücken.

 

zu Interviews mit Teilnehmern der Initiative Smart Country

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2015 – Zukunftsstadt.

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