Singen ist Burn-out-Prävention

Ein Interview mit Maximilian Stössel, Leiter des WDR-Mitarbeiterchors über die Vorzüge von Betriebschören und die Vorteile vom gemeinsamen Singen am Arbeitsplatz

Herr Stössel, Sie leiten seit 2013 den Mitarbeiterchor des WDR in Köln. Wie kam es dazu?

Ich habe damals beim WDR gearbeitet. Alles fing an mit der Mail einer Kollegin, Lucia Ostertag, die einfach mal keck einen größeren Mailverteiler ausgenutzt hat, um fröhlich zu fragen: „Wer hat Lust, regelmäßig miteinander zu singen?“ Diese Mail ging an alle Kolleginnen und Kollegen in Kön und Umgebung, also an mehr als 1.000 Personen in allen Hierarchieebenen – ein echt mutiger Schritt. Und die Resonanz war riesengroß! Ich hab mich als Chorleiter angeboten und kurze Zeit später war der Chor gegründet.

Seitdem singen Sie jeden Montagabend im Chorsaal des WDR – wer kommt zu den Proben?

Das ist ja das Schöne: Alle sind herzlich willkommen, Vorsingen oder Auswahlverfahren gibt’s nicht und Ausprobieren oder Einsteigen ist jederzeit möglich. Dadurch sind wir jetzt eine außerordentlich bunte Mischung aus rund 50 Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Tätigkeiten und Abteilungen in diesem großen Unternehmen kommen: zum Beispiel aus der Ton- und Kameratechnik oder aus dem Personalrat, aus den verschiedenen Fachredaktionen, aus den Bereichen Schauspiel und Moderation, aus der Verwaltung und so weiter – von der 25-jährigen studentischen Hilfskraft bis hin zu den Hauptabteilungsleitenden in Rente.

Maximilian Stössel geboren 1989, arbeitet als Pädagoge, Sänger und Chorleiter in Köln. Darüber hinaus ist er Projektmanager bei der Deutschen Chorjugend sowie deren stellvertretender Vorsitzender für chormusikalische Aufgaben. Von 2013 bis 2017 war er in der Öffentlichkeitsarbeit und Musikvermittlung der WDR-Orchester und des WDR Rundfunkchores tätig. Die Mitarbeiterchöre des WDR leitet er seit deren Gründung im Jahr 2013.

Beobachten Sie Auswirkungen auf den Arbeitsalltag?

Ich habe auf jeden Fall erlebt, dass so ein Angebot sehr viel zu einem harmonischeren Miteinander beitragen kann. Es macht den Arbeitsplatz zu einem positiv wahrgenommenen Lebensort, an dem man sich wohlfühlt. Und das wiederum kann natürlich zu einer besseren Atmosphäre und auch zu befriedigenderen Prozessen und Ergebnissen führen!

Auf der WDR-Homepage ist der Chor unter dem Programm „WDR aktiv eingeordnet, das sich vor allem mit Sport- und Gesundheitsangeboten an die Mitarbeitenden wendet. Wie passt das mit Singen zusammen?

Das passt sehr gut, denn ich kann jeden Montagabend beobachten, wie positiv sich die Teilnahme an der Chorprobe auf Geist und Körper der Leute auswirkt: Sie kommen ja sozusagen direkt von ihrem Schreibtisch oder hinter der Kamera hervor, haben vielleicht noch vor wenigen Minuten anstrengende Telefonate oder Besprechungen gehabt. Da schlurft manch einer schon ziemlich müde in den Saal. Und dann ist es toll zu sehen, wie die- oder derjenige schon nach dem Einsingen strahlend dasteht und eine völig andere Körperhaltung hat. Da geschieht eine so offensichtliche Transformation, dass die Teilnahme am Chor sicherlich eine gute Burn-out-Prävention sein kann (lacht).

Neben allen positiven Nebeneffekten: Als Chorleiter haben Sie doch auch einen gewissen küstlerischen Anspruch?

Meine professionellen Ansprüche lebe ich in anderen Projekten aus. Das hier ist ganz klar ein Laienprojekt, bei dem die Freude am gemeinsamen Singen und Wachsen im Mittelpunkt steht. Da ist vor allem der Anspruch an mich, dass ich es schaffe, mit Geduld, Empathie und guter Probenarbeit für Begeisterung und eine Weiterentwicklung im Chor zu sorgen. Wenn das klappt, dann begeistert das auch mich selbst. Für diejenigen, die Freude an schwierigeren Werken und viel Chorerfahrung haben, gibt’s noch den Mitarbeiter-Kammerchor. Der trifft sich immer nach dem Mitarbeiterchor in kleiner Besetzung, wobei fast alle Mitglieder des Kammerchores auch im Mitarbeiterchor mitsingen, also ziemlich engagiert zwei Proben nacheinander singen. Für die Motivation sind natürlich auch unsere Auftritte mit beiden Chören, meist bei internen Veranstaltungen, superwichtig.

Was beim WDR schon bestens funktioniert, scheint in anderen Betrieben illusorisch. Helfen soll hier die große Mitsing-Aktion Klingt nach Teamwork“, die nach Gesangsteams im Berufskontext sucht. Auch Sie nehmen mit Ihrem Chor daran teil – warum?

Ich habe ja schon erzählt, wie viele positive Effekte des Singens im Arbeitskontext ich hautnah erlebe. Insofern kann ich eine solche Aktion, die niederschwellig zum Singen mit Kolleginnen und Kollegen anregen soll, nur begrüßen. Als ich davon gehört habe, war für mich sofort klar, dass wir dabei sind. Ich weiß auch schon, was wir singen werden – aber das wird hier noch nicht verraten (lacht).

20.06.18

Was bedeutet es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich auf diese Weise außerhalb der Arbeit zu begegnen?

Das kann ganz neue Verbindungen, Netzwerke oder sogar Freundschaften bedeuten! Bei uns treffen sich Menschen, die in einem so großen Betrieb sonst nie Kontakt miteinander haben. Man singt aber auch mit Leuten zusammen, mit denen man bisher vielleicht nur per Mail kommuniziert hat. Mir selbst ging es so zum Beispiel mit einer Kollegin aus dem Notenarchiv, bei der ich als Redakteur hin und wieder per Mail Noten bestellte und die ich nur flüchtig kannte. Plötzlich erlebte ich sie als begeisterte Altistin, das war toll! Vor allem aber lernt man sich auf der menschlichen Ebene kennen und nicht immer nur in seinen jeweiligen Funktionen. Es ist doch großartig, wenn die Person, mit der man tagsüber an einem Projekt arbeitet, zur Freundin oder zum Freund wird, weil man abends mit dem Singen eine gemeinsame Leidenschaft teilt, oder wenn der Chef oder die Chefin sich mal an den besser singenden Auszubildenden orientiert.


Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2018 – Arbeitswelten der Zukunft.

Hintergrund

Erschienen in Chorzeit – das Vokalmagazin (Ausgabe Juni 2018)