Kognitive Ergonomie: Mensch-Technik-Interaktion besser gestalten

Ein Expertinnenbeitrag von Dr. Veronika Kretschmer, Innovationslabor Hybride Dienstleistungen in der Logistik / Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML Für den Erfolg der Digitalisierung wird die mitarbeitergerechte Gestaltung von Industrie 4.0-Systemen immer wichtiger. Als Schrittmacher bei der Einführung von Industrie 4.0 treibt die Logistik derzeit Forschungsaktivitäten voran, mit denen sich die Effektivität und die Effizienz von Mensch-Technik-Systemen verbessern lassen. Dazu gehört die Kognitive Ergonomie – ein Teilgebiet der Lehre von der menschlichen Arbeit.
Grundsätzlich befasst sich die Kognitive Ergonomie damit, wie sich das „informatorische Umfeld“ des Menschen besser gestalten lässt, d. h. wie der Mensch am besten mit technischen Systemen kooperieren oder interagieren kann. Ziel der Forschung ist es, Gestaltungs- und Handlungsempfehlungen für einen humanzentrierten Einsatz und Umgang mit der „smarten“ Technologie zu entwickeln.

Die Probleme von „informatorischer Arbeit“

Die Vernetzung der virtuellen und der physischen Welt ermöglicht heute vielfältige neue Formen der Kooperation von Mensch und Technik sowie die Integration intelligenter Assistenzsysteme in die Arbeitsprozesse. Die Informations- und Kommunikationsanforderungen steigen dabei, Arbeitsabläufe werden komplexer. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind damit Belastungen in einer Dimension ausgesetzt, die die Umbrüche der Arbeitswelten durch die Automatisierung von Maschinen in Betrieben ab den 1970er Jahren oder den Einzug von Computern in die Büros in den 1980er Jahren deutlich übersteigen. Schon heute zeigt sich, dass die Informationsflut und die Vielzahl der irrelevanten Informationen Arbeitnehmenden große Probleme bereiten. Je mehr Informationen auf den Menschen einströmen, umso mehr Verantwortung muss er übernehmen. Aus dieser Fehlbelastung bzw. Überbeanspruchung können dann verminderte Konzentration, Überforderung und vermehrte Fehler folgen.

Dr. phil. Dipl.-Psych. Veronika Kretschmer, Consulting Psychology and Ergonomics, ist Mitarbeiterin in der Abteilung Intralogistik und -IT Planung des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund. Ihre Studien zur Kognitiven Ergonomie führt sie im Rahmen des Innovationslabors Hybride Dienstleistungen in der Logistik sowie des Leistungszentrums Logistik und IT durch.

In der Logistik ist die Zunahme an informatorischer Arbeit derzeit insbesondere in der Intralogistik, also in der Lagerwirtschaft, zu beobachten - etwa bei Tätigkeiten wie dem Kommissionieren, dem Verpacken oder dem Palettieren. Die Informationsdurchdringung hat in den vergangenen Jahren insbesondere durch das Ersetzen von papiergebundenen Prozessen – bedingt durch den Einsatz elektronischer Hilfsmittel wie z. B. Handscannern oder Datenbrillen – stark zugenommen. Die Kognitive Ergonomie möchte nun herausfinden, welche Verfahren die Mitarbeitenden am besten unterstützen und Prozesse effizienter machen.

Im Rahmen einer aktuellen Studie im Innovationslabor Hybride Dienstleistungen in der Logistik untersuchten die Forschenden beispielsweise Wirkung und Nutzen von Augmented Reality (AR) in der Palettierung. Dazu wurden die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer mit einer herkömmlichen papierbasierten Packliste, einem klassischen Tablet und einer innovativen AR-Datenbrille ausgestattet. Für jedes der Verfahren wurden Parameter wie geistige Anforderung, Anstrengung und Frustration der Probanden analysiert. Ein (überraschendes) Ergebnis: Die Nutzung der Datenbrille bei der Palettierung stresste die Teilnehmenden von allen Methoden am wenigsten. Bei der Beurteilung der Benutzerfreundlichkeit hingegen schlug das Tablet die Brille noch. Auf Basis dieser Erkenntnisse können nun die Funktionalitäten und das Design der digitalen Assistenten weiter an die Bedürfnisse der Menschen angepasst werden.

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Der Mensch bleibt unverzichtbar

Der Mensch wird auch in Zukunft ein unverzichtbarer Bestandteil der Social Networked Industry sein – jener Weiterentwicklung von Industrie 4.0, deren Vorbild für die Interaktion von Mensch und Technik die sozialen Netzwerke sind. Seine Arbeit wird jedoch weiterhin ständigen technologischen Veränderungen unterliegen. Nicht jeder Mensch reagiert gleich auf ein informationsintensives Arbeitsumfeld. Entscheidend für den Umgang sind insbesondere die Technikbiographie des Einzelnen, seine Einstellung zur Technik und seine so genannte Kontroll- und Kompetenzüberzeugung in Bezug auf neue Technologien. Das heißt: Wie bewertet der Mensch den technologischen Fortschritt, welche Erwartungen verbindet er mit neuen Technologien? Hat er den Eindruck, dass ihn eine neue Technologie weiterbringt oder dass sie ihn im Gegenteil hemmt, dass er sie kontrolliert oder sie ihn? Vor diesem Hintergrund werden Projekte und Studien zur Kognitiven Ergonomie in den kommenden Jahren immer wichtiger werden.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2018 - Arbeitswelten der Zukunft.