Mutige Vision oder provokante Utopie? Das Bedingungslose Grundeinkommen

Ein Expertinnenbeitrag von Christina Strohm, Mein Grundeinkommen Das Bedingungslose Grundeinkommen stellt bestehende Verhältnisse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft infrage. Die Kritik an der Finanzierbarkeit und die Furcht vor Geld ohne Gegenleistung beweisen allerdings, dass der Diskurs bisher nur an der Oberfläche kratzt.

Wie wollen wir in Zukunft leben? Vor allem um diese Frage muss es gehen. Der rasante Wandel, den wir gerade durch die Digitalisierung und Automatisierung hautnah erfahren, lässt erkennen, dass sich der Sozialstaat weiterentwickeln oder sogar am besten neu auslegen muss. Und zwar mindestens um so viel Menschlichkeit, dass wir Arbeit nicht mehr als die beste Wohlfahrt gelten lassen.

Das Bedingungslose Grundeinkommen könnte die Wartung des Sozialstaates sein, nach langer Beanspruchung im Status Quo. Denn Ziel des Bedingungslosen Grundeinkommens ist es, das bestehende System um die Notwendigkeit zu ergänzen, den einzelnen Menschen und sein Schicksal zu sehen und anzuerkennen.

Christina Strohm arbeitet bei Mein Grundeinkommen, gemeinnütziges Start-Up und junge NGO zugleich. Via Crowdfunding werden Spenden gesammelt und sobald 12.000 Euro zusammen gekommen sind, werden diese als Bedingungsloses Grundeinkommen mit 1.000 Euro im Monat verlost. Der Zuspruch ist groß - vor vier Jahren gegründet, befeuert Mein Grundeinkommen heute mit rund einer Million Nutzer*innen die Debatte.

Was macht die Bedingungslosigkeit mit den Menschen?

Nach mehr als vier Jahren, in denen wir mit Mein Grundeinkommen e.V. das Grundeinkommen erlebbar machen, können wir feststellen, dass es vor allem die Bedingungslosigkeit ist, die die größte Wirkung erzielt. Denn sie ist eigentlich eine Utopie - wer bekommt im Leben noch etwas geschenkt? Unsere Grundeinkommens-Gewinner*innen berichten von mehr Sicherheit, Freiheit und Wertschätzung in ihrem Alltag. Davon, endlich sie selbst sein zu können, wenn niemand Erklärungen verlangt, wie sie ihr Einkommen investieren.

"Ich fühle mich frei wie lange nicht mehr! Frei, meinen aktuellen Job zu überdenken. Frei, nach neuen Herausforderungen Ausschau zu halten. Frei, wieder mehr ich zu sein." Sarah, Gewinnerin der Grundeinkommens-Verlosung im April 2018.

Natürlich werden mit dem Grundeinkommen auch Häuser abbezahlt, neue Autos finanziert oder ein Surfurlaub gebucht. Spätestens nach einem Jahr hat der Gewinn des Bedingungslosen Grundeinkommens aber eine Kraft freigesetzt, die die Gewinner*innen auch nach der Auszahlung noch nachhaltig prägt. Wir erfahren von neuem Selbstbewusstsein, mit dem sie ihre Werte und Träume verteidigen. Oder von dem Stolz, ein besserer Familienvater oder aufmerksamere Studentin zu sein. Viele sind inspiriert, sich gesellschaftlich und politisch zu engagieren. Einigen gab das Bedingungslose Grundeinkommen den Mut, die Selbstständigkeit zu wagen. Einer der Gewinner bezeichnete sein Jahr mit Grundeinkommen als "Existenzangstpause".

Gegenmeinung

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Zukunft beginnt jetzt

Je dringender die Frage wird, wie wir den Herausforderungen der Zukunft begegnen wollen, desto schwammiger und unverbindlicher scheinen die Ansätze aus Politik und Wirtschaft. Ein Bedingungslose Grundeinkommen mag da provozieren. Das soll es sogar, wenn es dabei Vision und Weitblick herausfordert. Was wir derzeit brauchen sind Kreativität für Veränderung und Mut zum Handeln. Das Bedingungslose Grundeinkommen - mutige Vision oder provokante Utopie? Am liebsten beides zugleich.


Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2018 - Arbeitswelten der Zukunft.