Nutzen und Risiko von ionisierender Strahlung

Portrait Christoph Reiners Der international anerkannte Strahlenmediziner Christoph Reiners ist Hauptamtlicher Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Würzburg und leitet das nationale Kollaborationszentrum der WHO für medizinisches Strahlenunfallmanagement.

Herr Reiners, was heißt Strahlung überhaupt?

Strahlung bezeichnet die Ausbreitung von Teilchen oder Wellen. Wenn wir im Kontext von Radioaktivität von Strahlung sprechen, meinen wir ionisierende Strahlung, die sich teilchen- oder wellenförmig ausbreiten kann. Es gibt gewisse Parallelen zum ultravioletten (UV) Licht, das sich ebenfalls wellenförmig ausbreitet.

Was machen die Strahlen in meinem Körper?

Ionisierende Strahlung wirkt auf Moleküle in Körperzellen und verändert oder zerstört diese, indem sie einzelne Elektronen entfernt. Diese zerstörende Wirkung wird etwa zur Sterilisation genutzt, um Krankheitskeime abzutöten. Sie kann im menschlichen Körper aber auch schwere gesundheitliche Schäden verursachen.

Andererseits hätte aber ohne Strahlung auf der Erde keine Evolution stattgefunden, erst durch sie fanden positive Mutationen von Körperzellen statt: die Weiterentwicklung anfänglich primitiver Lebensformen.

Der Mensch, ebenso wie jedes andere Lebewesen, hat in seinen Körperzellen „Reparaturwerkstätten“, die Zellveränderungen umgehend reparieren. Diese „Reparaturwerkstätten“ führen jeden Tag millionenfach Reparaturen an den Zellen durch, die durch die Effekte ionisierender Strahlung, von UV-Strahlung sowie von bestimmten chemischen Stoffen hervorgerufen werden. Verursacher können in der Natur vorkommende giftige Stoffe sein, ebenso wie bestimmte Industriegifte, Bestandteile des Zigarettenrauchs oder Medikamente bei der Chemotherapie.

Welche Schäden können Strahlen in meinem Körper anrichten?

Bei den gesundheitlichen Schäden unterscheiden wir zwei Arten: Einerseits die deterministischen Schäden im Sinne des akuten Strahlensyndroms, das erst ab einer Schwellendosis von 500 bis 1.000 Millisievert (mSv) homogener Ganzkörperbestrahlung zu erwarten ist. Bei der akuten Strahlenkrankheit treten schwere und schlimmstenfalls tödliche Beeinträchtigungen der Blutbildung, des Magen-Darm-Trakts und des Nervensystems auf. Einer tödlichen Dosis von mehr als 5 Sievert waren beispielsweise 28 Anlagenarbeiter in Tschernobyl ausgesetzt. Eine andere Form eines deterministischen Strahlenschadens ist die Trübung der Augenlinse beim „grauen Star“ (Schwellendosis hier etwa 200 mSv).

Werden nur Teile des Körpers bestrahlt, muß diese Dosis keinesfalls tödlich sein, sondern kann im Gegenteil für eine Krebstherapie genutzt werden. Hier treten allerdings häufiger Nebenwirkungen an der Haut ähnlich wie nach starker UV-Bestrahlung.

Bei der zweiten, der stochastischen Wirkungsart ionisierender Strahlung, die auch ohne Schwellendosis bei geringen Strahlendosen auftreten kann, beruhen unsere Erkenntnisse in erster Linie auf Untersuchungen Überlebender aus Hiroshima und Nagasaki. Hier zeigte sich, dass das Risiko des strahleninduzierten Krebs allgemein eher überschätzt wird; es ist mit etwa 5% zusätzlichen Krebstodesfällen bei einer Strahlendosis von 1 Sievert anzusetzen. Rein rechnerisch kann man auch für sehr niedrige Strahlendosen in der Größenordnung der natürlichen jährlichen Strahlenexposition in Deutschland von 1 - 5 mSv eine Erhöhung des spontanen Krebsrisikos von rund 25 % um etwa 0,001 – 0,005 Prozent abschätzen. Es aber leicht nachvollziehbar, dass eine derartige geringe Erhöhung des Risikos, an Krebs zu sterben, statistisch nicht nachweisbar ist.

Inwieweit helfen Jodtabletten?

Die gefürchtetste Folgeerkrankung und gleichzeitig die einzig gesicherte Krebsfolge der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in der Bevölkerung ist der Schilddrüsenkrebs: Etwa 6.000 weißrussische Kinder und Jugendliche erkrankten in der Folge der massiven Freisetzung von Radioaktivität in Tschernobyl an Schilddrüsenkrebs. Die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu erkranken war damit 40fach höher als in anderen Teilen der Welt.

Auslöser war radioaktives Jod, ein Produkt der Kernspaltung, das die Kinder durch das Einatmen kontaminierter Luft und stärker noch durch den Verzehr kontaminierter Milch aufgenommen hatten. Die Einnahme von Jodtabletten kann die Aufnahme des radioaktiven Jods verhindern, indem sie den Jodbedarf der Schilddrüse sättigen. So kann strahlendes Jod sich nicht festsetzen, sondern wird ganz normal vom Körper ausgeschieden.

Wie wird Strahlung in der Medizin genutzt?

Bekannt ist die Strahlentherapie bei Krebspatienten, bei der lokal eng begrenzte hohe Strahlendosen von 50 bis 70 Sievert dazu genutzt werden, Krebszellen abzutöten. Darüber hinaus dienen vergleichsweise sehr viel niedrigere Dosen von Röntgenstrahlen (typischerweise weniger als 1 mSv bis zu 20 mSv) zur Diagnose bei unterschiedlichsten Erkrankungen von Knochenbrüchen über Tumorerkrankungen bis zu Gefäßveränderungen, wobei heute immer häufiger die Computertomographie als Schnittbildverfahren zur Anwendung kommt.

In der Nuklearmedizin werden radioaktive Stoffe für Diagnostik und Therapie eingesetzt, so bei der Positronen-Emissionstherapie, die in erster Linie bei verschiedenen Krebserkrankungen und bei Herz-Kreislauf- Erkrankungen zum Einsatz kommt. Dabei werden mithilfe einer radioaktiven Substanz kritische Bereiche und Prozesse im Organismus eingefärbt und auf Schnittbildern sichtbar gemacht. Die Strahlendosen bewegen sich hier in einem ähnlichen Bereich wie in der Röntgendiagnostik. In der Medizin sind die richtige Dosis und eine gezielte Anwendung entscheidend. In Deutschland wird daher die medizinische Strahlenanwendung durch die Röntgen- und Strahlenschutzverordnung geregelt und durch ein darin festgelegtes Kontrollsystem überwacht.

 

Der international anerkannte Strahlenmediziner Christoph Reiners ist Hauptamtlicher Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Würzburg und leitet das nationale Kollaborationszentrum der Weltgesundheitsorganisation für medizinisches Strahlenunfallmanagement. Zuvor war er Leiter der Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin. Er engagiert sich seit Jahren für die Opfer des Unglücks in Tschernobyl und arbeitet unter anderem mit japanischen Forschern aus Nagasaki zusammen.

 

Weitere Informationen

WHO Kollaborationszentrum für medizinische Vorsorge und Hilfe bei Strahlenunfällen

Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin am UK Würzburg  

Prof. Reiners im Fernsehinterview

Deutsche Gesellschaft für medizinischen Strahlenschutz

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Bundesamt für Strahlenschutz

Deutsche Gesellschaft für medizinische Physik 

 

Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung

Zur Wirkung Ionisierender Strahlung

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