Eine Stadt für alle Lebensalter

Die Stadt der Zukunft muss eine Stadt für alle Lebensalter sein: eine Stadt, die junge Leute anzieht, interessante Arbeitsplätze bietet – aber auch deren Freizeitbedürfnissen entgegenkommt. Die Stadt der Zukunft sollte zur Familiengründung ermuntern, neben entsprechenden Wohnungen auch Kindergartenplätze und Schulen bzw. vielseitige Bildungsmöglichkeiten bieten. Die Stadt der Zukunft muss sich auch auf ihre zukünftigen Bewohner einstellen – und das werden mehr und mehr ältere Menschen sein. Während 1890 auf einen über 75-Jährigen noch 79 jüngere Menschen kamen, sind es heute nicht einmal zehn und in 25 Jahren werden es weniger als fünf sein.

Ältere Frau am Marktstand
© Goodluz / Shutterstock

Sind wir, sind unsere Städte und Kommunen darauf eingerichtet? 75-Jährige sind noch lange nicht pflegebedürftig, aber die einen oder anderen kleinen Hemmnisse im Hinblick auf die Mobilität (eingeschränkte Beweglichkeit, Probleme beim Treppensteigen, Schwierigkeiten, sich zu bücken, Gleichgewichtsstörungen, Arthritis, rheumatische Finger) sowie Seh- und Hörprobleme treten schon auf und können zu einer Einschränkung des Lebensraumes führen.

Tatsache ist: Je gesünder und kompetenter ein Mensch ist, desto weniger beeinflusst die dinglich-sachliche Umwelt sein Verhalten. Je stärker er allerdings beeinträchtigt ist, umso mehr bestimmt diese Umwelt sein Verhalten. Sei es, dass sie im negativen Fall zu Unselbstständigkeit und Abhängigkeit und zur Verengung seines Lebensraumes beiträgt – was dann zu einem weiteren Abbau der an sich noch vorhandenen Fähigkeiten führt: Man geht weniger zu Veranstaltungen, erhält weniger Anregung, zieht sich zurück und stellt körperliche, geistige und soziale Aktivitäten weitgehend ein – sei es, dass sie im positiven Fall zu Aktivitäten anregt und damit die noch vorhandenen Fähigkeiten erhält oder sogar steigert. So kann ein Aufzug unternehmungsfreudiger machen, während die für manchen Senior schwer zu bewältigende Treppe in den zweiten Stock ihn dazu verführt Aktivitäten einzustellen – mit weitreichenden Folgen, denn: Was rastet, das rostet.

Unsere Umwelt, Stadtplanung, Architektur und Verkehrssysteme, unser Wohnungsbau, aber auch unser Möbeldesign einschließlich des sanitären Bereichs werden meistens von jungen Erwachsenen für junge Erwachsene gestaltet. Unser Verkehrssystem – der öffentliche Nahverkehr – , aber auch die gesamte Deutsche Bahn, ist wenig altengerecht. „Altengerecht“ ist jedoch „menschengerecht“.

Kein Parkhaus ohne Aufzug!

In einer zukünftigen Welt der über 75-Jährigen haben wir die Konzepte der Stadtentwicklung zu überdenken, von der Verkehrsplanung bis hin zu mehr Sportstätten und Sportmöglichkeiten auch für Ältere. Wie steht es mit der Erreichbarkeit wichtiger Orte? Manch älterer Mensch ist durchaus noch fähig, sicher Auto zu fahren, auch wenn ihm das Zu-Fuß-Gehen größere Schwierigkeiten bereitet. Wie viele Parkhäuser oder auch Tiefgaragen sind nur über Treppen zu erreichen? Parkhäuser ohne Aufzüge gehören in einer alternden Gesellschaft verboten, denn sie sind auch für junge Eltern mit Kinderwagen ein Problem.

Wie sieht es mit dem öffentlichen Nahverkehr, mit der Parkplatzfrage vor Behörden, Hotels und Restaurants aus? Wie viele Arztpraxen haben wir in der Fußgängerzone ohne Parkraum, nur anfahrbar von Taxen, sodass Nachbar, Sohn oder Tochter einen nicht einmal schnell vor die Praxistür fahren können? Das macht die Krankheit für viele auch teuer.

Über die Autorin

Prof. Dr. Ursula Lehr

Prof. Dr. Ursula Lehr war von 1988 bis 1991 Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Seit 2009 ist sie Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e.V. (BAGSO).

Die oft leeren Innenstädte und das Schließen bekannter Geschäfte sind nicht nur mit den zunehmenden Internet-Bestellungen zu erklären, sondern vielfach mit der Tatsache, dass ältere Menschen, die nicht „gut zu Fuß“ sind, nicht näher an die Geschäfte in der Fußgängerzone heranfahren können. Das hat zur Folge, dass die Wege zum nächsten Parkplatz zu weit sind und dass auch die notwendigen Sitzbänke in der Fußgängerzone fehlen. Außerdem erhöht das Kopfsteinpflaster die Gehunsicherheit. Gehstöcke bleiben stecken und Rollatoren aber auch Kinderwagen, rütteln zu sehr.

Eine Erhebung der BAGSO hat ebenso deutlich gemacht, dass zu kurze Ampelphasen, verbunden mit fehlenden akustischen Signalen, an bestimmten Straßenübergängen die Mobilität einschränken. Zu kleine, kaum lesbare Straßenschilder und fehlende bzw. nicht sichtbare Hausnummern erschweren außerdem die Orientierung. Diese Verbesserungsmaßnahmen sind meistens nicht teuer – und sie stören jüngere Menschen keinesfalls.

Weit mehr als bisher haben sich Wirtschaft und Industrie auf das älter werdende und strukturveränderte Land einzustellen. Von besonderer Bedeutung erscheint der kreative Ausbau an Dienstleistungsangeboten, zu denen auch die Bedienung an der Tankstelle und ein verstärkter Hol-und Bring-Dienst gehören.

Auf dem Abstellgleis

Wie sieht es auf vielen unserer Bahnhöfe aus: nicht funktionierende Rolltreppen, fehlende Aufzüge, Treppensteigen ist angesagt. Für eine immer größer werdende Bevölkerungsgruppe eine Last. Auch Handleisten fehlen oft oder sind nicht erreichbar, da das ohnehin meistens nicht funktionierende Transportband einen Zugriff nicht erlaubt. Und dann die oft unverständlichen Informationen oder die schwer zu bedienenden Fahrkartenautomaten, die auch Jüngeren zu schaffen machen.
Und: Müssen Fahrpläne in so unleserlicher, kleiner Schrift gedruckt und oft so hoch aufgehängt werden? Und denken Sie an die Platzreservierungen in der Deutschen Bahn: kleine, graue Mini-Schrift auf weißem Grund und ebenso viel zu hoch angebracht – schon mit geringen Sehschwierigkeiten nicht zu entziffern. Und wohin mit dem Gepäck, mit den Koffern? Auch „fitten“ Seniorinnen bzw. Senioren fällt es nicht leicht, den Rolli hochzuwuchten.

Auch die Konstruktion unserer Busse könnte in mancher Beziehung „altengerechter“ und damit „menschengerechter“ sein. Niedrigflurbusse werden nicht nur von älteren Menschen geschätzt, auch für Kinderwagen- und Fahrradmitnahme sind sie geeigneter.

Und: Wie viele Veranstaltungen werden nicht besucht, weil man abends nicht mehr nach Hause kommt? Ältere Autofahrer scheuen oft das Fahren bei Dunkelheit, sie fühlen sich dann unsicher, denn die Adaptationsfähigkeit des Auges lässt nach. Zweifelsohne würden ältere Menschen Veranstaltungen am Abend auch gern besuchen, wenn sichere und finanzierbare Transportmöglichkeiten angeboten würden.
Tatsache ist: In unserer Gesellschaft des langen Lebens sollte alles getan werden, um gesund und kompetent, d. h. bei großer Selbstständigkeit, ein hohes Alter zu erreichen. Dazu muss der Einzelne selbst etwas im Hinblick auf körperliche, geistige und soziale Aktivitäten tun – aber auch die Gesellschaft, die Kommune muss etwas tun, um diese präventiven Aktivitäten zu ermöglichen. Dazu gehört eine „umweltbezogene Prävention“, die einerseits Barrieren abbauen, andererseits zu Aktivitäten motivieren sollte.

Kontakt: vorsitzende(at)bagso.de

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2015 – Zukunftsstadt.

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Kommentare (1)

  1. Sirhan Yuksel
    Sirhan Yuksel am 19.11.2015
    Zukunftstadt eine unglaubliche Überaschung für alle von uns .Wir warten mit grosse İnteresse die neuen Giga Projekten mit vielen Wissenschaft und Tekno Entwicklungen.