Singen im Team: Unternehmensidentität von Innen nach Außen

Ein Expertenbeitrag von Dr. phil. Inka Neus, Gesangspädagogin Teamwork ist der Schlüssel in den Arbeitswelten der Zukunft. Singen soll dabei helfen. Aber warum ausgerechnet Singen? Singen ist keine beliebige Gemeinschaftsaktivität. Es gibt einen besonderen Zusammenhang zwischen Singen und Identität, der uns intensive Gruppenerlebnisse ermöglicht. Im Singen können wir „Corporate Identity“ (Unternehmensidentität) direkt aus dem Team heraus generieren.

Dr. phil. Inka Neus lebt als freiberufliche Sängerin, Gesangspädagogin und Chorleiterin in Hamburg und hat mit einer Dissertation zum Zusammenhang von Singen und Wohlbefinden promoviert.

Der Zusammenhang zwischen Singen und Identität weist in zwei Richtungen. Einerseits zeigen wir über unseren individuellen Stimmklang etwas von uns selbst: Kann ich gut singen, kann ich schön singen, welche Gefühle habe ich beim Singen, welches Klangideal verfolge ich, welche Lieder singe ich und was bedeuten diese Lieder für mich vor dem Hintergrund meiner privaten Biographie? Das alles steht bzw. klingt plötzlich offen im Raum, wenn wir singen. Außerdem hat das Singen eine nicht zu unterschätzende körperliche Dimension. Über die Atmung verbindet die Stimme – unsere klingende Atemluft – das konkret erlebbare körperliche Innenleben mit der Außenwelt und ggf. mit den Stimmen anderer Menschen, die auch singen. Gemeinsames Singen ist eine – wenn auch mittelbare – körperliche Berührung und hebt ein Stück weit die alltägliche Distanz zu unseren Mitmenschen auf.

Andererseits liegt im Singen ein Moment der kulturellen bzw. gemeinschaftlichen Identitätsbildung. Die Geschichte zeigt, dass politische Unruhen, Kriege, Friedensschließung und Exil Momente intensiver kultureller Identitätssuche und -bildung sind und dass in solchen Momenten bevorzugt gesungen wird. Das Singen im Kontext kultureller Identitätsbildung ist ein vielschichtiges Phänomen. Zwei prominente Beispiele aus den beiden Weltkriegen können dies verdeutlichen:

Am Heiligabend 1914 kam es an der deutsch-englischen Front zu einer denkwürdigen Situation. Die Kampfhandlungen wurden vorübergehend eingestellt, die Soldaten wünschten sich auf Plakaten gegenseitig frohe Weihnachten, trauten sich wenig später aus ihren Schützengräben und sangen gemeinsam „Stille Nacht“ bzw. „Silent night“. Allen Soldaten war das Lied bekannt, weil England und Deutschland sich 1914 weite Teile der Weihnachtstradition und damit das entsprechende Liedgut teilten. Das Liebeslied „Lili Marleen“ wurde 1941 von Lale Andersen eingesungen und einige Tage später über den deutschen Soldatensender Belgrad verbreitet. Nach kurzer Zeit war das Lied beiderseits der feindlichen Fronten verbreitet und wenig später auf der ganzen Welt. Es wurde in 80 verschiedenen Sprachen und Textfassungen eingesungen.

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Von den beiden Beispielen lässt sich ableiten, dass Lieder und das gemeinsame Liedersingen Begegnungs- und Kreuzungspunkte zwischen den unterschiedlichsten Menschen in einer gleichermaßen persönlichen, sozialen und zeitgeschichtlichen Situation sein können. Mit „Stille Nacht“ im Ersten Weltkrieg und „Lili Marleen“ im Zweiten Weltkrieg wurde eine übernationale kulturelle Identität vollzogen, die vorübergehend stärker war als die jeweils nationale kulturelle Identität.

Der Zusammenhang zwischen Singen und Identität ist also keine Einbahnstraße. Im Singen geben wir eine Menge von unserer privaten Identität preis und können gleichzeitig im gemeinsamen Singen Gruppen-Identität erleben oder generieren. Und das macht uns zum Team: Jeder von uns bringt seine Stimme ein, also sein privates Selbst, und im gemeinsamen Singen schreiben wir dann zusammen ein Stück Team-Geschichte.

Aber genau hier liegt auch die Kehrseite der positiven Auswirkungen vom Singen. Singen macht was mit uns, es hat Einfluss auf uns und verändert uns. Darüber müssen wir uns im Klaren sein – gerade auch in beruflichen Zusammmenhängen. Ein gutes Team findet sein Lied wahrscheinlich nicht ohne Diskussion und vielleicht singen auch nicht alle mit. Aber ein gutes Team findet das richtige Lied und das ist dann der Hammer: Corporate Identity von Innen nach Außen.


Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2018 – Arbeitswelten der Zukunft.