Qualifizierung von behinderten Menschen als Lehrkräfte in der Bildungsarbeit

Inklusion stellt eine Daueraufgabe für die Arbeitswelten der Zukunft dar. Das beginnt mit Lehrveranstaltungen für pädagogische Fachkräfte. Reicht es aus, Menschen mit einer Behinderung einzuladen? In der Regel ernten die Berichterstattenden Applaus. Werden sie aber als „Experten in eigener Sache" wahrgenommen? Das Projekt „Inklusive Bildung Baden-Württemberg" befähigt Männer und Frauen, die als geistig behindert gelten, an Fach- und Hochschulen zu lehren. Studierende erhalten so persönlich und zudem reflektiert Einblick in die Arbeits- und Lebenswelt von Menschen mit Behinderung. Im Sommersemester 2018 halten die angehenden Bildungsfachkräfte ihre ersten Seminare an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg (PH Heidelberg).

„Unsere Studierenden erfahren zwar in den Lehrveranstaltungen viel über inklusive Teilhabe, in den direkten Kontakt mit Menschen mit Behinderungen kommen sie aber meist erst durch die obligatorischen Praktika oder sogar erst in der Arbeitswelt“, erläutert Professorin Karin Terfloth (PH Heidelberg) den Ist-Zustand. Das löse meist Verunsicherung aus. „Dass Menschen mit Behinderungserfahrung unseren Studierenden nun selbst aufzeigen, was Inklusion in der Praxis heißt, ist ein folgerichtiger Schritt hin zu einer Hochschule, deren Lehrangebot unterschiedliche Erfahrungen und Lernvoraussetzungen berücksichtigt.“ Die Behinderungserfahrung als wertvolle Expertise zu nutzen, darin sieht auch Projektleiter Stephan Friebe die Stärke des Vorhabens: „Solche Erfahrungen braucht es, um zu einer überzeugten positiven Haltung zu Inklusion zu kommen.“

Die zukünftigen „Experten in eigener Sache" durchlaufen eine dreijährige Qualifizierung. Die ermöglicht es ihnen, ab dem 2. Semester selbst Seminare und Workshops anzubieten. Solche Lehrveranstaltungen halten sie unter anderem an der PH Heidelberg. In Kiel hat sich das Konzept bereits bewährt. Initiiert von der Stiftung Drachensee klären „Experten in eigener Sache“ zukünftige Fach- und Führungskräfte in pädagogischen Berufen über ihre Situation sowie die Potenziale der Inklusionsarbeit auf. 2016 wurde das Modellprojekt mit dem Paul-und-Käthe-Kraemer Inklusionspreis ausgezeichnet. Das Preisgeld wird auch dazu genutzt, das Projekt deutschlandweit zu etablieren.

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Mit der Fachschule für Sozialwesen der Johannes-Diakonie Mosbach wurde der erste Kooperationspartner außerhalb von Schleswig-Holstein gefunden. In Zusammenarbeit mit der PH Heidelberg und mit Unterstützung der Dieter-Schwarz-Stiftung findet die Qualifizierung von sechs Frauen und Männern, die bislang in Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt waren, statt. „Ich mache die Qualifizierung, weil ich mehr kann als Schrauben verpacken. Ich wollte schon immer Lehrer werden", erklärt Thilo Krahnke. Projektziel ist es, den angehenden Bildungsfachkräften nach Abschluss der Qualifizierung sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze anzubieten. Die PH Heidelberg hat bereits Interesse signalisiert, die „Experten in eigener Sache" langfristig und dauerhaft in ihre Lehre einzubinden.


28.06.2018