Die Zukunft braucht Arbeitszeit 4.0! Durch Anpassung des Arbeitszeitgesetzes mehr Flexibilität nach unten und oben

Ein Expertenbeitrag von Dr. Ufuk Altun, ifaa - Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. Der aktuelle Tarifvertrag in der Metall- und Elektroindustrie von Februar 2018 ermöglicht den Betrieben und Beschäftigten die Arbeitszeiten noch flexibler und bedarfsgerechter zu gestalten. Betriebe und Beschäftigte können die Arbeitszeiten je nach Bedarf nach oben und nach unten anpassen. Dadurch können die Wünsche und Bedürfnisse der Beschäftigten, die ihre Arbeitszeiten vorübergehend reduzieren wollen oder müssen, besser erfüllt und dabei der betriebliche Ablauf sichergestellt werden. Denn kürzere Arbeitszeiten sind nur dann möglich, wenn einem Anteil der Beschäftigten die Möglichkeit eingeräumt wird, bei Bedarf die wöchentliche Arbeitszeit zu erhöhen.

Die Flexibilisierung der Arbeitszeit gewann seit dem Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie im Jahr 1983 an Bedeutung und wurde in zahlreichen tariflichen Verhandlungen thematisiert und optimiert. Seitdem sind flexible Arbeitszeitmodelle sowie die Anpassung der Arbeitszeit an die betrieblichen und persönlichen Bedarfe nichts Neues, vielen Betrieben und Beschäftigten bekannt und längst Realität.

Dr. Ufuk Altun wurde 1965 in Istanbul geboren. Der studierte Soziologe und Politologe promovierte zum Thema „Arbeitszeitflexibilisierung in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie und die Verbandsstrategien“. Aktuell arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) e.V. und beschäftigt sich mit arbeitswissenschaftlichen Fragestellungen zu den Themen Arbeitszeit, Gestaltung und Entwicklung von Arbeitszeitmodellen, Orts- und zeitflexibles Arbeiten sowie lebenszyklusorientierten Arbeitsformen unter Berücksichtigung betrieblicher sowie gesellschaftlicher Einflüsse.

Eine repräsentative Studie von 2017, die von TNS Emnid unter den Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie durchgeführt wurde, zeigt, dass 90 % der Beschäftigten in Unternehmen arbeiten, die über die flexiblen Arbeitszeitmodelle hinaus zusätzliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf anbieten. In den meisten Betrieben der Metall- und Elektroindustrie existieren zahlreiche flexible Arbeitszeitmodelle, welche vor allem den Wünschen der Beschäftigten entgegenkommen. Dies bestätigt auch die ifaa-Studie „Anreiz- und Vergütungssysteme in der Metall- und Elektroindustrie".

Hier zeigt sich, dass Arbeitgeber als besonders attraktiv eingestuft werden, wenn sie flexible Arbeitszeiten anbieten. Für Arbeitgeber ein enormes Potenzial Fachkräfte zu gewinnen und zu halten.
Die Studie ergab auch, dass die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie mit ihrer tatsächlichen Arbeitszeit sehr zufrieden sind und schon heute jeder Zweite durch selbstbestimmte Arbeitszeit, seine Arbeitszeit kurzfristig an seine persönlichen Bedürfnisse anpassen kann.

Gleichzeitig wünschen sich Beschäftigte und Betriebe die Fortsetzung dieses Trends. Für die Herausforderungen der zukünftigen digitalen Arbeitswelt sowie Wünsche der Beschäftigten, die Arbeitszeiten an persönliche Belange anzupassen, sind die aktuellen gesetzlichen Regelungen, wie zum Beispiel die tägliche durchschnittliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden oder die elfstündige Ruhezeit, nicht mehr zeitgemäß. Daher ist es erforderlich, die gesetzlichen Regelungen an die Gegebenheiten und Belange der Beschäftigten und Betriebe anzupassen.

Auch interessant

Flexible Arbeitszeiten – oft gewünscht, aber rechtlich machbar?

Ein Expertenbeitrag von Dr. Martin Nebeling

Zum Artikel

Wenn die Beschäftigten zum Beispiel mittags nach Hause gehen, um ihre Kinder von der Schule abzuholen und dann am Nachmittag noch ein paar E-Mails schreiben und lesen oder mit den Kunden telefonieren, handeln sie gegen das zurzeit geltende Arbeitszeitgesetz. Dies verlangt eine Ruhepause von elf Stunden, bevor Beschäftigte wieder an den Arbeitsplatz gehen. Deshalb muss geregelt sein, dass die pauschale Mindestruhezeit von elf Stunden bei selbstgewählter Arbeitszeit aufgehoben wird und kurzfristige Unterbrechungen die Mindestruhezeit nicht wieder von vorn beginnen lassen.
Auch die Betriebe brauchen Flexibilität, um auf immer wieder schwankende Auftragslagen schnell reagieren zu können. Hier können flexible Arbeitszeit- und Schichtmodelle helfen, bei denen die tägliche Arbeitszeit durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzt wird. Durch gesetzliche Öffnung kann das Volumen der Arbeitszeit je nach Auftragslage nach oben und nach unten bedarfsgerecht angepasst werden, ohne die Schutzbedürfnisse der Beschäftigten in Frage zu stellen. Die Emnid-Studie zeigt, dass auch die Beschäftigten bereit sind, täglich länger als acht Stunden zu arbeiten, wenn sie Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit selbst bestimmen können. So können zum Beispiel die Beschäftigten bei starken Auftragslagen mehr arbeiten und bei schwachen Auftragslagen können sie das angesammelte Zeitguthaben durch Freizeit ausgleichen.
Als erster Schritt dafür sollte jedoch das deutsche Arbeitszeitgesetz an die EU-Arbeitszeitrichtlinie angepasst werden: Diese Anpassung würde einerseits für die Beschäftigten mehr Flexibilität und für die Betriebe mehr Rechtsicherheit bedeuten und andererseits den Beschäftigten und Betrieben neue Möglichkeiten einräumen, die Arbeitszeiten noch flexibler, gesundheits- und bedarfsgerechter zu gestalten.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2018 - Arbeitswelten der Zukunft.