Wie sieht die Diagnostik der Zukunft aus?

Ein Expertenbeitrag von Torsten Haferlach, MLL Münchner Leukämie Labor GmbH

Rudolf Virchow stellte 1845 bei einer Patientin im Mikroskop stark vermehrt weiße Blutzellen fest, er nannte es „weißes Blut“, also „Leukämie“. Heute gehört zur Leukämiediagnostik neben der klassischen Zytomorphologie (Lehre von der Gestalt und vom Bau der Zellen am Mikroskop) auch die Zytogenetik (Darstellung und Analyse von Chromosomen), die Immunphänotypisierung (ordnet die Zellen mittels Fluoreszenz zu) und die immer wichtiger werdende Molekulargenetik (Analyse von Veränderungen auf Genebene). Hinzu kommen methodische Neuentwicklungen: Automatisierung, Internet of Things (IoT), Big Data, Cloud Computing, Datensicherheit und Künstliche Intelligenz. Das MLL testet alle diese neuen Technologien und führt sie schrittweise in der Routinediagnostik ein.

Die informationstragende DNA des Menschen besteht aus 3 Milliarden Basenpaaren, die für ca. 23.000 Gene stehen. Die Gesamt-Genom-Sequenzierung zielt darauf ab, die komplette Erbinformation eines Menschen zu lesen und Mutationen, die bei der Krebsentstehung und -diagnostik eine wichtige Rolle spielen, zu identifizieren. Je mehr Information man über die Tumorerkrankung, aber auch den genetischen Hintergrund des Patienten weiß, desto effizienter wird eine gezielte Therapie in Zukunft möglich.

Jedes Genom (Erbgut) der Leukämiezellen wird – um auch kleine Veränderungen der Zellen zu entdecken – im Schnitt 100x sequenziert, d.h. gelesen. Das erste Genom im sog. „Humanen Genomprojekt“ zu sequenzieren hat von 1990-2003 gedauert, 1.000 Forscherinnen und Forscher waren beteiligt und 3 Milliarden $ wurden investiert. Heute kann man ein Genom in 44 Stunden komplett analysieren, die Kosten liegen bei ca. 1.500 €.

Prof. Dr. Dr. Torsten Haferlach ist Gründer und Geschäftsführer des MLL Münchner Leukämielabors und der Münchner Hämatologie Praxis. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht die Verantwortung für Patienten mit Leukämien oder Lymphomen. Sein Ziel war und ist es immer, unter höchsten Qualitätsstandards die bestmögliche Leukämiediagnostik für alle Patienten zugänglich zu machen. Dies ermöglicht gezieltere Therapien, verbessert Lebensqualität der behandelten Patienten durch weniger Nebenwirkungen und verlängert deren Lebenserwartung.

Das „5.000 Genom Projekt“ des MLL

Jährlich erkranken in Deutschland ca. 14.000 Menschen an einer Leukämie. Der Erfolg einer Therapie hängt maßgeblich vom Zeitpunkt und der Genauigkeit der Diagnose ab.

2017 wurde am MLL das „5.000 Genom-Projekt“ gestartet, was zu mehr Therapie-Erfolgen führen soll. Um also ein möglichst umfangreiches Wissen zu erlangen, haben wir begonnen, sehr viele verschiedene Subgruppen von Leukämien und Lymphomen in unserem Projekt zu untersuchen. Durch unsere Biobank, die mehr als 1,5 Millionen Röhrchen von Leukämieproben bei -80°C enthält, haben wir die Möglichkeit, ein sehr breites Spektrum an verschiedenen Erkrankungen abzudecken. Wir untersuchen sowohl das Genom als auch das Transkriptom (Gesamtheit aller in einer Zelle hergestellten RNA-Moleküle) eines Patienten, um möglichst viele genetische Information zu erhalten.

Zuzüglich zu den neu gewonnenen genetischen Informationen haben wir am MLL die Möglichkeit auf die gute Charakterisierung der Patienten mittels Daten der Routinediagnostik zurückzugreifen und diese zueinander in Beziehung zu setzen. Darüber hinaus haben wir klinische Daten, die uns Aufschluss über den Verlauf der Erkrankung bei jeder einzelner PatientIn geben. Durch Kombination aller Werte lassen sich Diagnosen genauer und die Prognose neu errechnen.

Zusammenarbeit – Daten kontrolliert zugänglich machen

Da wir mit unseren eigenen Forschungsprojekten nicht alle Bereiche der verschiedenen Leukämien gleichermaßen gut abdecken können und die produzierten Daten eine große Fülle an verschiedensten Informationen enthalten, ermöglichen wir weltweit angesiedelten Forschungsgruppen die Daten des „5.000 Genom Projekts“ mit uns hier am MLL zu bearbeiten. Diese Forschungsgruppen senden einzelne WissenschaftlerInnen, um das Potential verschiedener Forschungsideen und die Nutzbarkeit unserer Daten für diese Projekte zu diskutieren und dann gemeinsam zu bearbeiten.

Moderne Analyseverfahren liefern den Ärztinnen und Ärzten eine immer größere Menge an Informationen, deren Auswertung sich ohne Hilfe von Computern zunehmend schwierig gestalten. Heutzutage sind immer mehr Computer in der Lage, eigenständig zu lernen und somit Künstliche Intelligenz zu entwickeln.

In der Medizin gibt es bereits verschiedene Bereiche in denen Künstliche Intelligenz Anwendung findet bzw. finden kann.

In der Molekulargenetik werden beispielsweise durch die Zunahme an durchgeführten Genom-Sequenzierungen die Datenmengen immer größer und eine manuelle Interpretation der Daten ist unmöglich. Aus diesem Grund verwenden wir Methoden des Maschinellen Lernens, welche eigenständig aus den Daten lernen und relevante Informationen herausfiltern. Mit diesem Ansatz verfolgen wir prinzipiell zwei Ziele: zum einen wünscht man sich eine automatische Klassifizierung unbekannter Proben und zum anderen möchte man weitere Erkenntnisse über die Grundlagen der verschiedenen Erkrankungen gewinnen.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autorinnen und Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2019 – Künstliche Intelligenz.

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